Warum investieren Unternehmen so wenig Zeit für das Training der Kundendienst-Mitarbeiter?
In diesem Artikel wird das Thema «Training» vertieft. Ich persönlich finde es beeindruckend, wie wenig Zeit in Contact Centern nach der Ersteinstellung in das Training investiert wird, verglichen mit Fussballmannschaften, die 95% ihrer Zeit mit Trainieren verbringen. Anhand eines Vergleichs mit der Fussballwelt werden einige relevante Konzepte rund um das Training (Ausbildung und Weiterbildung) der Mitarbeiter dargestellt.
Ausgangslage, eine Geschichte aus dem Kundendienst der Firma «Mittelmässigkeit AG»:
Felix und Regula freuen sich sehr, dass sie ihre neue Arbeit im Contact Center anfangen werden. Für beide ist es ein Neuanfang.
- Regula hat gerade ihr Psychologiestudium begonnen, und das ist ihre erste Festanstellung. Einerseits braucht sie das Geld, um ihr Studium zu finanzieren, andererseits möchte sie das pulsierende Leben von einem Unternehmen kennenlernen. Ihre Arbeit im Contact Center wird sicherlich spannend, da sie mit vielen Kunden in Kontakt kommen wird. Sie möchte anderen Menschen helfen.
- Felix ist 54 Jahre alt und Familienvater von 2 Kindern. Er wird nach einer längeren Pause und einer anstrengenden Karriere im Marketing im Kundendienst anfangen, da er seiner Familie und seinen Hobbies mehr Zeit widmen möchte.
Der erste Arbeitstag kommt bald! Regula ist sehr aufgeregt: ihre erste Stelle. Sie hat immer von dieser Welt geträumt, während Felix sehr gelassen ist, er weiss, was «arbeiten» bedeutet.
Felix und Regula verbringen die ersten Arbeitstage zusammen: am ersten Tag findet die Einführungsveranstaltung mit allen neuen Mitarbeitern des Unternehmens statt («Begrüssung durch den CEO», «HR», «Risk & Compliance», usw.). Am nachfolgenden Tag finden die Contact Center Schulungen statt: Systeme und Prozesslandkarte kennenlernen, Routine-Aufgaben exakt ausführen, «Standard Operating Procedures» üben… Das wird während 4 Wochen alternierend zur Arbeit im eigenen Team eingeübt. Felix und Regula haben wenig von der Unternehmenskultur und vom «normalen» Arbeitstag kennengelernt.
Nach dem ersten Monat sind sämtliche Schulungen planmässig fertig. Regula und Felix haben «alles» gelernt, was gemäss dem Standard-Schulungskonzept für Contact Center Mitarbeiter nötig ist. Sie kennen die wichtigsten Regeln, und falls sie etwas brauchen, steht die entsprechende Teamleiterin zur Verfügung. Weitere Trainings sind nicht geplant, es sein denn, es würden neue Produkte eingeführt, oder grössere Projekte live gehen. In so einem Fall würden ad-hoc Schulungen stattfinden. Die üblichen Informationen und Updates werden per E-Mail wöchentlich verteilt.
Bekannte Herausforderungen in der Contact Center Welt:
Selbstverständlich ist die oben beschriebene Geschichte teilweise überspitzt dargestellt, nichtsdestotrotz können sich viele Contact Centers an der einen oder anderen Stelle erkennen.
Die bekannte Situation der fehlenden Arbeitskräfte, verbunden mit der Tatsache, dass Mitarbeiter immer neue Herausforderungen suchen (Mitarbeiter bleiben durchschnittlich deutlich weniger lang in einem Unternehmen als in der Vergangenheit), bringen Unternehmen oft in eine schwierige Lage. Die Mitarbeiter werden zudem nicht mehr lediglich über die Entlohnung motiviert, sondern viel mehr über eine Vielfalt von Anreizen, wie zum Beispiel: Flexibilität, Vielfältigkeit der Aktivitäten, Involvierung in wertstiftende Tätigkeiten, die Möglichkeit mitdenken zu können (und nicht nur als Ausführungskräfte gesehen zu werden) und die persönlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten.
Der Vergleich mit einer Fussballmannschaft:
Das Training ist in der Fussballwelt die Hauptkomponente für den Erfolg jeden Spielers und jeder Mannschaft. Folgende Konzepte möchte ich in diesem Fall hervorheben:
- Das Training findet vor Saisonanfang sowie vor und nach jedem Spiel statt.
- Trainiert werden die Taktik (individuelle oder Gruppen-Aktion, proaktiv oder reaktiv bezogen auf das Umfeld, ebenoso wie das eigene Tor verteidigen, Pressing…) und die Technik (Skills der Spieler wie schiessen, Kopfball, …).
- Jeder Spieler trainiert individuell, um fit zu bleiben, um besser zu werden, um seine Grenzen auszuloten. Jeder Aspekt, sei es physisch, mental und sozial wird berücksichtigt.
- Zudem trainieren die Spieler nicht nur individuell, sondern auch zusammen, um gemeinsam eine Höchstleistung bei jedem Spiel zu erreichen.
Fussballmannschaften trainieren viel und spielen verhältnismässig nur wenige offizielle Spiele. Mitarbeiter trainieren verhältnismässig wenig, «spielen» aber viele offizielle Spiele
Training generell
Das Trainieren der «Hard Skills» (Prozesse, Produkte, Systeme, …) bei der Einstellung geben den Mitarbeitern die grundlegenden Kompetenzen, um Kunden bedienen zu können. Was oft in Unternehmen fehlt, sind: das wiederkehrende Training generell («Refresher», …) und das Trainieren der «Soft Skills» (was von Simon Sinek als «menschliche» Skills definiert wird). Diese Fähigkeiten spielen eine entscheidende Rolle, um Kunden nicht nur kompetent, sondern auch empathisch bedienen zu können.
Eine gesunde Balance zwischen dem Training von «Hard Skills» und «menschlichen Skills» wird Mitarbeitern helfen, kompetenter (dank Hard Skills) und empathischer (dank «menschlichen Skills») zu werden. Das sind die zwei zentralen Eigenschaften von guten und erfolgreichen Contact Center Mitarbeitern.
Kontinuierliches Lernen
Mitarbeiter brauchen nicht nur bei der Einführung eine gute Ausbildung (auch wenn sie grosszügig gestaltet wird), sondern sie brauchen vielmehr ein begleitendes, ausgewogenes und wiederkehrendes Training, um die Möglichkeit zu haben:
- das Neugelernte im Betrieb anzuwenden,
- sich schrittweise weiterzuentwickeln,
- Kunden immer besser bedienen zu können und
- schlussendlich sich als Menschen weiterzuentwickeln, und um zu wachsen.
Individualisierte Weiterentwicklung
Jeder Mitarbeiter lernt auf eine andere Art und Weise und im eigenen Tempo. Es wird sehr oft in Customer Experience diskutiert, wie wichtig die Personalisierung der Erlebnisse für den Kunden sind. Deswegen sollen, so weit wie möglich, auch die Erlebnisse und insbesondere die Weiterentwicklung der Mitarbeiter personalisiert werden. Es geht nicht darum, für jeden Mitarbeiter ein individuelles Training zu gestalten (so wie bei Fussballprofis), sondern vielmehr darum, abzuwägen, welche Skills (Hard und Soft) die Mitarbeiter sich aneignen wollen und welche Anforderungen ein Unternehmen hat, und wie man sie am besten angleichen kann. Es gibt viele Möglichkeiten, die im Contact Center benötigten Skills aufzubauen, ohne dass jeder Mitarbeiter alles können muss («Skill based routing»).
In der Tat kann in einem Fussballmatch ein Verteidiger nicht als Torhüter eingesetzt werden. Deswegen ist es wichtig, auf den Stärken der Mitarbeiter aufzubauen, sodass sie den Kunden den bestmöglichen Service anbieten können.
Ihr Gregorio Uglioni
CX Goalkeeper
www.cxgoalkeeper.com
Gregorio Uglioni
Gregorio Uglioni ist im Bereich Business Transformation, Innovation und Customer Experience (CX) spezialisiert. Dank seiner starken Führungsqualitäten war er in der Lage, mehrere Transformationsprogramme zu leiten und dabei messbare Ergebnisse zu erzielen sowie einen positiven Kundeneinfluss zu schaffen. Ausserdem hat er immer darauf geachtet, in den Teams und in der Firma eine positive kunden-zentrierte Innovationskultur zu fördern. Sein branchenübergreifendes Engagement (wie z.B. beim CX World Games, als Juror bei weltweit CX Awards oder als Keynote Speaker bei internationalen Events) für die Weiterentwicklung der CX "Wissenschaft" zeugen von seiner Leidenschaft dafür. Zudem ist Gregorio mit seinem englischsprachigen Podcast «The CX Goalkeeper» in der internationalen CX Szene aktiv. Er hat ein Kapitel im «best-selling» Buch Customer Experience 3 (Verlag: Writing Matters) geschrieben. Gregorio ist ein CCXP (Certified Customer Experience Professional) und der erste weltweit zertifizierte ACXSPlus. Gregorio hat seine Karriere bei Accenture angefangen und aktuell arbeitet er als «Leiter Business Transformation» beim Kantonsspital Winterthur. www.cxgoalkeeper.com/podcast