ENGINE ist eine stark wachsende digitale amerikanische Travel-Plattform. Mit 70 % Wachstum pro Jahr, über 850 Mitarbeitenden und einer Bewertung von mehr als zwei Milliarden Dollar steht das Unternehmen für Innovation und Kundenzentrierung. Im Gespräch mit mir berichten Dimitri Salvaggio, Senior Director Client Operations und New Business Development, und Mollie Bodensteiner, VP of Revenue Operations und Enablement, wie sie mit KI und neuen Service-Ansätzen Kundeninteraktionen, Customer Experience und interne Prozesse revolutionieren – und was europäische OTAs davon lernen können.
Meike Tarabori live von der «Salesforce Connections 2025» (10.-11. Juni 2025) in Chicago
Stellt euch bitte kurz vor, was sind eure Rollen und Aufgaben bei ENGINE?
Dimitri Salvaggio: Ich leite bei ENGINE den Bereich Client Operations. Dazu gehören Plattform-Support, Betrugsprävention, Revenue Recovery und die Teams für operative Exzellenz, Workforce Management sowie Training und Qualität. ENGINE wurde 2018 gegründet und ist heute eine der modernsten Reiseplattformen für Buchungen von Hotels, Flügen und Mietwagen in den USA. Wir wachsen extrem schnell und betreuen sowohl kleine als auch grosse Unternehmen, und das alles ohne starre B2B-Verträge. Unser Ziel: Enterprise-Vorteile und 24/7-Premium-Support für alle Kundengrössen.
Mollie Bodensteiner: Ich verantworte als SVP Operations die Bereiche Revenue Operations, Go-to-Market-Systeme wie Salesforce, Mitglieder- und IT-Operations. Was uns auszeichnet, ist unser kompromissloser Fokus auf den Kund:innen. Wir sind „customer-obsessed“. Das prägt jede Entscheidung und jede Innovation bei uns.
Wie hat sich euer Ansatz für Kundeninteraktionen und Customer Experience in den letzten Jahren verändert?
Mollie Bodensteiner: In den vergangenen Jahren haben wir unseren Ansatz von einem eher reaktiven, standardisierten Service hin zu einer proaktiven, stark personalisierten Customer Experience weiterentwickelt. Wir setzen gezielt innovative Technologien wie KI ein, um Self-Service-Angebote nicht nur effizienter, sondern auch menschlicher zu gestalten. Heute stehen für uns Schnelligkeit, Flexibilität und individuelle Lösungen im Mittelpunkt.
Was unterscheidet diesen Ansatz von anderen Online Travel Agencys?
Dimitri Salvaggio: Unser Ansatz unterscheidet sich vor allem durch Transparenz, Wahlfreiheit und konsequente Kundenzentrierung. Wir zwingen niemanden in bestimmte Kanäle oder Prozesse. Kund:innen entscheiden selbst, ob sie mit der KI oder einem Menschen sprechen möchte. So schaffen wir eine neue Balance zwischen Automatisierung und persönlicher Betreuung. Diese Offenheit schafft Vertrauen und sorgt dafür, dass die Kundenzufriedenheit konstant hoch bleibt.
Mollie Bodensteiner: Zudem investieren wir gezielt in Personalisierung und in echte Wow-Momente, etwa durch individuelle Upgrades oder persönliche Nachrichten. Damit gehen wir über den reinen Standardservice hinaus und setzen neue Massstäbe für die Customer Experience, ein Ansatz, der auch für andere OTAs zukunftsweisend ist.
Wie hat sich die Erwartungshaltung eurer Kund:innen verändert?
Molly Bodensteiner: Kund:innen erwarten heute schnelle Reaktionszeiten, und dass man sie kennt. Niemand wartet darauf, den Support zu kontaktieren, aber jeder möchte, dass es unkompliziert und persönlich abläuft. Unsere Aufgabe ist es, diese Erwartungen nicht nur zu erfüllen, sondern zu übertreffen. Das gelingt, wenn wir Routineanfragen automatisieren und uns auf die besonderen Momente konzentrieren.
Sprechen wir über euer erstes KI-Pilotprojekt, den KI-Agenten im Chat: Könnt ihr mehr über die Realisierung erzählen? Gab es Hürden oder Widerstände?
Mollie Bodensteiner: Unser Ziel war es, den Self-Service für unsere Kund:innen wirklich auf ein neues Level zu heben. Wir haben uns deshalb bewusst auf einen klar umrissenen Anwendungsfall konzentriert: Stornierungsanfragen, die bei uns täglich in grosser Zahl eingehen. Der KI-Agent sollte diese Fälle komplett eigenständig und möglichst menschlich lösen, das heisst nicht nur automatisiert, sondern empathisch und flexibel.
Die Umsetzung war ein echtes Gemeinschaftsprojekt: Neben unserem Operations- und Go-to-Market-Team waren auch Produktexperten und unsere externen Partner mit an Bord. Wir haben es geschafft, den Agenten in nur zwölf Tagen live zu bringen. Das war nur möglich, weil wirklich alle an einem Strang gezogen haben und wir als „Early Adopter“ eng mit Salesforce zusammenarbeiten konnten.
Wir haben das Glück, in einem innovationsgetriebenen Umfeld zu arbeiten, in dem „fail fast, learn fast“ zur DNA gehört. Die grösste Herausforderung war jedoch, alle Teams mitzunehmen und Akzeptanz zu schaffen. Gerade bei neuen Technologien ist es wichtig, transparent zu erklären, warum wir das machen, wie der Agent funktioniert und welchen Mehrwert er bringt. Wir haben viel Zeit investiert, um das grosse Ganze zu vermitteln und auch den Support-Teams zu zeigen, dass der KI-Agent sie entlastet, nicht ersetzt.
Technisch gesehen war die Integration in unsere bestehende Infrastruktur dank der Low-Code-Tools von Salesforce Agentforce überraschend unkompliziert. Wir konnten Workflows und Wissensdatenbanken gezielt anpassen und den Agenten so trainieren, dass er wirklich relevante, hilfreiche Antworten gibt.
Heute wickelt der KI-Agent rund 300 Stornierungsfälle pro Tag ab und das end-to-end. Die Bearbeitungszeit sank um 15 %. Ein echter Gamechanger – für Kund:innen und für unser Team. Viele unserer Kund:innen empfinden den Chat inzwischen sogar als genauso hilfreich wie ein Gespräch mit einem Menschen. Das motiviert uns, weitere Use Cases zu identifizieren und die KI stetig weiterzuentwickeln.
Wie profitieren eure Mitarbeitenden von KI?
Dimitri Salvaggio: Die Zufriedenheit im Support-Team ist deutlich gestiegen. Einfache, repetitive Aufgaben entfallen, stattdessen können sich unsere Leute auf komplexe Fälle und persönliche Betreuung konzentrieren. So bleibt mehr Zeit für echte Kundenbeziehungen. KI ist für uns kein Ersatz für Menschen, sondern ein Werkzeug, das sie stärkt und entlastet.
Habt ihr seither noch weitere KI-Projekte realisiert oder in Planung?
Mollie Bodensteiner: Im Vertrieb nutzen wir KI mittlerweile vor allem, um unser Team bei der Lead-Generierung und -Qualifizierung zu unterstützen. Die KI übernimmt zeitaufwändige Aufgaben wie das Recherchieren von potenziellen Kund:innen, das Sammeln relevanter Informationen und schlägt sogar die nächsten sinnvollen Schritte vor. Dadurch gewinnen unsere Sales-Mitarbeitenden spürbar mehr Zeit für das, was wirklich zählt: persönliche Gespräche, Beziehungsaufbau und individuelle Beratung.
Das Feedback aus dem Team ist sehr positiv. Viele empfinden die Arbeit als deutlich effizienter und schätzen, dass sie sich auf anspruchsvolle, kreative Aufgaben konzentrieren können, statt auf Routinetätigkeiten. Uns war wichtig, die Kolleginnen und Kollegen von Anfang an einzubeziehen und transparent zu zeigen, wie die KI funktioniert und wie sie konkret unterstützt. Das hat die Akzeptanz enorm erhöht und die Zusammenarbeit im Team gestärkt.
Für uns ist klar: KI ersetzt im Vertrieb niemanden, sondern erweitert die Möglichkeiten und schafft Raum für echten, persönlichen Kundenkontakt, ein echter Wettbewerbsvorteil, gerade in dynamischen Märkten wie unserem.
Dimitri Salvaggio: Nach dem Erfolg unseres KI-Agenten im Kundenchat haben wir uns gefragt: Warum nicht auch unsere Mitarbeitenden von intelligentem Self-Service profitieren lassen? Gerade im IT-Support fallen täglich viele Routineanfragen an, etwa Passwort-Resets oder Zugangsprobleme. Wir haben daraufhin einen eigenen IT-Agenten entwickelt, der diese Standardanfragen automatisiert übernimmt. Ein Beispiel: Ich habe selbst getestet, wie es ist, als neuer Mitarbeiter bei uns einzusteigen. Der Agent hat mir eine komplette Checkliste geliefert, welche Systeme ich nutzen sollte und wie ich mich anmelde. Das spart unserem IT-Team enorm viel Zeit und gibt allen Mitarbeitenden schnelle, zuverlässige Unterstützung.
Der nächste Schritt ist die Integration mit Jira. Wenn der Agent ein Problem nicht eigenständig lösen kann, erstellt er automatisch ein Ticket für die IT-Abteilung. So bleibt der gesamte Prozess für die Mitarbeitenden nahtlos und sie bekommen immer die passende Hilfe, entweder direkt oder über ein Ticket, das im Hintergrund generiert wird. Wir sehen darin grosses Potenzial, interne Prozesse weiter zu verschlanken und die Zufriedenheit im Unternehmen zu steigern.
Ihr arbeitet eng mit Salesforce als Partner zusammen. Wie sieht diese Zusammenarbeit konkret aus und was ist dabei besonders wichtig?
Dimitri Salvaggio: Die Partnerschaft mit Salesforce ist für uns ein echter Innovationsmotor. Wir sind oft Pilotkunde für neue Lösungen, etwa für Agentforce, die Plattform für autonome KI-Agenten. Das heisst, wir testen neue Funktionen, geben direkt Feedback und gestalten die Entwicklung aktiv mit. Die Zusammenarbeit ist sehr partnerschaftlich: Wir setzen gemeinsam Use Cases um, lernen voneinander und bauen Lösungen, die exakt auf unsere Anforderungen passen. Besonders wichtig sind dabei offene Kommunikation und der Mut, auch mal mit unfertigen Lösungen zu starten. So können wir Innovation wirklich leben und schnell in die Praxis bringen. Die Agentforce-Plattform lässt sich flexibel anpassen, ist tief in unsere Salesforce-Umgebung integriert und ermöglicht es uns, neue Automatisierungen innerhalb weniger Tage live zu schalten. Das ist ein enormer Vorteil, gerade in einem so dynamischen Umfeld wie unserem.
Was sind eure wichtigsten Learnings aus den KI-Projekten?
Mollie Bodensteiner: Mein wichtigstes Learning: Mit einem klaren Ziel starten, wie beispielsweise die Customer Experience zu verbessern, nicht nur, um Kosten zu sparen. Fangen Sie pragmatisch an, bauen Sie Schritt für Schritt aufeinander auf. So entstehen nachhaltige Lösungen, die echten Mehrwert bringen. Setzen Sie auf Partnerschaft und Transparenz. Nehmen Sie alle Beteiligten mit, erklären Sie, wie und warum Sie KI einsetzen. Transparenz und Bildung nehmen die Angst und schaffen Akzeptanz. Bringen Sie zudem alle Beteiligten früh ins Boot, erklären Sie die Ziele und den Nutzen und haben Sie den Mut, gemeinsam mit Ihrem Technologiepartner zu lernen. Und: Es braucht Geduld. KI wird mit der Zeit besser, aber nur mit kontinuierlichem Feedback und Training.
Dimitri Salvaggio: Wer jetzt nicht anfängt, riskiert, den Anschluss zu verlieren. Es ist ein Paradigmenwechsel: Von „dummer“ zu „smarter“ Software. Mein Tipp: Haben Sie Mut zur Veränderung, bleiben Sie neugierig, und gehen Sie Schritt für Schritt vor. KI und Mensch sind Partner – nicht Gegner. Aber setzen Sie KI nicht als Selbstzweck ein, sie muss Mitarbeitende und Kund:innen wirklich unterstützen.

Meike Tarabori
Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.