KI-Agenten und Chatbots gelten als Symbol technologischen Fortschritts – doch nicht jede Anwendung profitiert gleichermassen davon. Während grosse Unternehmen durch Automatisierung Skaleneffekte erzielen, stossen KI-gestützte Chats bei kleineren Firmen mit persönlichem Kundenkontakt an ihre Grenzen. Präzision, kulturelles Verständnis und emotionale Bindung sind für viele Geschäftsmodelle essenziell – Aspekte, die Chatbots oft nicht abdecken können. KI kann Prozesse erleichtern, aber nicht jede Interaktion ersetzen. Der bewusste Einsatz entscheidet über den Mehrwert.
Wer einmal versucht hat, mit einer Computermaus zu zeichnen oder eine Unterschrift zu schreiben, wird es wissen: Es fehlt an Präzision. Das liegt nicht an der Maus selbst, sondern daran, dass sie einfach nicht dafür gemacht wurde. Schon in den 1960er-Jahren hat der Erfinder der Computermaus, Doug Engelbart, davor gewarnt. Um das Problem zu veranschaulichen, band er einen Bleistift an einen Ziegelstein – damit etwas zu malen ist fast unmöglich.
In einem interessanten Online-Essay hat kürzlich der brasilianische Designer Zeh Fernandes die Frage gestellt: Warum kommt jeder so gut mit Chat-Schnittstellen zurecht? Die Frage kommt nicht von ungefähr: Chatbots und KI-Agenten sind so etwas wie der Zauberstab im Online-Kundenkontakt geworden. Je weniger menschliche Interaktion, umso besser für Unternehmen – so scheint es zumindest.
Gedichte versus Präzision
Tatsächlich haben gerade KI-Agenten einen großen Vorteil: Sie sind in der Lage, einen nicht unerheblichen Teil von Anfragen zu beantworten – besser als die eher starr strukturierten reinen Chatbots. Damit sparen sie Ressourcen und ermöglichen es den menschlichen Kolleginnen und Kollegen, sich um die komplexeren Anfragen zu kümmern.
Aber ist das Grund genug, jede Website und jede App mit einem Chat-Interface auszustatten? Selbst die natürliche Sprache, die wir nutzen können (auch wenn viele Nutzer in Text-Chats schreiben, als ob sie eine Google-Suche formulieren), ist nach Ansicht von Fernandes limitiert. «Die menschliche Sprache ist nicht auf Präzision ausgelegt. Deshalb gibt es Gedichte, verschiedene Ausdrucksweisen und die Notwendigkeit, Programmiersprachen zu erfinden. Maschinen brauchen strukturierte Definitionen und Vorhersehbarkeit», schreibt er.
Nun werden LLMs nicht mehr programmiert, sondern sie lernen aus Unmengen von Daten, die auf menschlicher Sprache basieren. Dennoch haben sie Grenzen: Wenn man fragt, welche Farbe am besten Freiheit ausdrückt, wird die KI auf das zurückgreifen, was sie gelernt hat – Logos, Flaggen und Symbole, die mit Freiheit assoziiert werden. Sie versteht jedoch nicht den Kontext. Deshalb wählen wir eine Farbe besser aus einem Farbkreis aus. Ein Modeunternehmen, das online Vorschläge für Farben von Shirts oder Kleidern machen möchte, sollte genau diesen Weg gehen. Statt dem Nutzer mitzuteilen, welche Farben verfügbar sind oder ihn zu fragen, welche er mag, wäre ein Farbkreis sinnvoller. Die KI kann dann passende Produkte vorschlagen.
KI kann kein Tragegefühl vermitteln
Ein ähnliches Problem stellt sich bei Größen dar. Wer online einkauft, kennt das: Schuhe in Größe 41 sollten eigentlich immer passen. Aber wenn sie zu Hause ankommen, sind sie doch zu eng. Das Tragegefühl kann die KI ebenso wenig vermitteln wie Gerüche oder haptische Eindrücke. Ein Schmuckstück auf einem Bild vermittelt nicht dasselbe Gefühl, wie wenn man es um den Hals trägt. Einzelhändler, die noch täglichen Kontakt zu Kunden haben, wissen das.
Warum also der Trend zur KI? Weil, so vermutet Fernandes nicht zu Unrecht, viele Unternehmen glauben, es zeige Modernität und Fortschritt. Doch will der Kunde das überhaupt? Gerade kleine und mittlere Unternehmen haben intensive Kundenkontakte. Was für Firmen mit tausenden Anfragen pro Tag funktioniert, muss nicht für Unternehmen passen, die ihre Kunden noch per E-Mail oder Telefon betreuen.
Mitarbeiter können Hotels oft besser einschätzen
Ein Beispiel ist die Reisebranche. Nehmen wir an, Sie wollen eine Reise nach Thailand machen. Der Veranstalter bietet bestimmte Reiseverläufe zur Auswahl: drei Tage Bangkok, dann die Stadt Chiang Mai im Norden besuchen und anschließend Strandurlaub auf einer Insel. Online werden Ihnen Hotels vorgeschlagen. Doch wie gut sind diese wirklich? Eine KI berechnet die Qualität anhand von Bewertungen, Buchungshäufigkeit und Preisen. Ein Mitarbeiter hingegen, der schon vor Ort war, kann einen besseren und professionelleren Eindruck vermitteln. Ein Beispiel ist das Frühstück: Das sogenannte «internationale Frühstück» richtet sich meist an amerikanische und britische Gäste. Mit Glück findet man ein Müsli, selten aber Marmelade oder eine ausreichende Auswahl an Wurst, Schinken und Käse. Die Croissants lassen ebenfalls oft zu wünschen übrig.
Bei kulturellen Unterschieden stößt KI schnell an Grenzen. Die Modelle sind größtenteils in der westlichen, oft sogar speziell amerikanischen Welt trainiert worden. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen, die kein eigenes LLM entwickeln können, merken das. Verhandlungen mit asiatischen Kunden verlaufen anders als mit amerikanischen. KI-Vorschläge für Produkt- oder Serviceangebote berücksichtigen das eher selten. Der Marketingberater Dan Nathan schrieb bereits im vergangenen Jahr auf LinkedIn zu diesem Thema. Auch er stellte die KI-Generallösung infrage:
«Kleine Unternehmen bauen ihren Ruf auf Beziehungen auf. Im Gegensatz zu großen Konzernen, bei denen Markentreue durch Produktvielfalt oder wettbewerbsfähige Preise entsteht, gewinnen und halten kleine Unternehmen ihre Kunden, indem sie ein personalisiertes Erlebnis bieten. Ein Chatbot kann zwar Fragen zu Öffnungszeiten oder Produktverfügbarkeit beantworten, aber er kann nicht die echte Verbindung ersetzen, die ein Kunde spürt, wenn er mit einer realen Person spricht, die seine spezifischen Bedürfnisse versteht», schrieb er.
WEF: So können KMU von KI profitieren
Wie KMU dennoch von KI-Agenten profitieren können, zeigt das World Economic Forum an einem Beispiel: So hat die E-Commerce-Plattform Alibaba International ihren KI-Agenten «Accio» als KI-gestützte B2B-Suchmaschine für die Produktbeschaffung eingeführt. Laut Alibaba nutzten während der globalen E-Commerce-Spitzensaison im November und Dezember 2024 weltweit über 50.000 KMU «Accio», um Inspirationen für Lagerbestände am Black Friday und zu Weihnachten zu finden.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Keyword-Suchmaschinen nutzt «Accio» die Verarbeitung natürlicher Sprache, um die Suche zu verbessern und es KMU-Käufern zu ermöglichen, intuitiv die benötigten Produkte zu finden. Die Plattform zählt mittlerweile über 500.000 KMU-Nutzer – und beeindruckenderweise stammen die Hälfte der 20 wichtigsten Nutzerländer aus Entwicklungsländern wie Pakistan, Vietnam und Bangladesch.
Ein Allheilmittel für KMU sind KI-Agenten dennoch nicht – gerade nicht in B2B-Bereichen mit intensiver Kundenbindung. Dennoch sollten Unternehmen zumindest über ein Grundwissen verfügen, welche Möglichkeiten es mit KI-Agenten gibt und wie sie bereits in verschiedenen Branchen eingesetzt werden.

Thomas Wanhoff
Thomas Wanhoff, Jahrgang 1966, ist ein deutscher Journalist und Autor. Er arbeitete bei Zeitungen wie der “Frankfurter Neuen Presse”, war Produktentwickler bei der “Welt” und schreibt für die Nachrichtenplattform t-online. Außerdem betätigt er sich als freier Autor, mit Schwerpunkten auf CRM und Personalentwicklung. Wanhoff lebt seit 2007 in Südostasien.