Die renommierte Professorin Sita Mazumder erklärt im nachfolgenden Interview mit cmm360, dass Digital Business eine kontinuierliche Anpassung der Geschäftsmodelle erfordert, um den sich rasch verändernden Technologien gerecht zu werden. Sie betont die Rolle von Technologie als Werkzeug, das Effizienz und innovative Kundenerlebnisse ermöglicht, und verweist auf Herausforderungen wie Cybersecurity und regulatorische Vorgaben. Zentral ist, die Belegschaft mitzunehmen: Schulungen und offene Kommunikation helfen, Vorbehalte abzubauen. Unternehmen sollten ihre Strategien regelmässig überprüfen, um flexibel auf Entwicklungen wie KI und generative Anwendungen zu reagieren und nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Digitale Transformation
Was heisst Digital Business? Was kann man sich darunter vorstellen?
Sita Mazumder: Digital Business ist ein grosser und umfassender Begriff, ähnlich wie zahlreiche andere Makrobegriffe und wird deshalb auch unterschiedlich verwendet. Für mich beginnt Digital Business immer mit dem Geschäftsmodell, dieses für das digitale Zeitalter fit zu halten oder fit zu machen. Das ist nichts Neues, denn Veränderungen haben immer auch Anpassungen an den Geschäftsmodellen bedingt. Bei Digital Business steht das Digitale und wie es uns resp. unsere Welt verändert im Zentrum.
Technologie ist allgegenwärtig und ein Treiber im heutigen Business. Wie verändert uns dies?
Sita Mazumder: Du sprichst es richtig an. Technologie spielt eine zentrale Rolle in unserer heutigen Welt und ist in allen Lebensbereichen gegenwärtig. Wichtig ist aber im Auge zu behalten, dass die Technologie ein Werkzeug ist, welches Veränderungen bewirkt, gewisse Technologien mehr und andere weniger. Die zentrale Frage ist also, welche Veränderungen und was diese für uns bedeuten, gerade mit Blick auf den Business Case
Dass Digital gekommen ist, um zu bleiben, und dass Digital unser Leben massiv verändert hat und die Entwicklungen weitergehen, ist der gegebene Rahmen. Diese Veränderungen durchdringen all unsere Lebensbereiche und sind auch nicht voneinander abgrenzbar. Wir alle arbeiten heute anders als noch vor ein paar Jahren – neue Tools, Prozesse usw. In meinem Teenageralter hatte ich einen Sommerjob, bei dem ich noch mit Telex gearbeitet habe. Oder schauen wir uns an, wie das Banking sich verändert hat. Die Liste ist endlos. Es zeigt aber auch, dass stehenbleiben keine Option ist.
Kannst du uns ein konkretes Beispiel geben, wie sich die Arbeitswelt durch Technologien verändert?
Sita Mazumder: Nehmen wir das aktuelle Beispiel der Generative KI. Texte, Bilder etc. können automatisch generiert oder angepasst werden. Oft sind die Outcomes nicht perfekt und müssen noch überarbeitet, aber eine Grundlage ist schon mal da und das mehr oder weniger auf Knopfdruck. Doch wo Nutzen, da auch Risiko, beispielsweise Deepfakes, bei denen Inhalte so angepasst werden, dass die Realität nicht mehr gegeben ist und die oft nicht als Fakes erkennbar sind. Egal ob im Beruf oder Privatbereich, wir können den Nutzen dieser Werkzeuge geniessen und müssen gleichsam vorsichtig in Bezug auf den Missbrauch sein.
Wie verändern sich Geschäftsmodelle in diesem Zusammenhang?
Sita Mazumder: So simpel es klingt, als Unternehmen muss ich mich immer fragen, wofür ist meine Kundschaft gewillt mir heute und soweit absehbar in Zukunft etwas zu bezahlen. Wir haben denke ich alle die klassischen Beispiele miterlebt: das Reisebüro kam in die Bredouille, weil eine Mehrheit nicht mehr bereit war, für das, was man nun einfach selber tun konnte, ein Geschäft zu bezahlen. Printmedien, Plattengeschäfte, usw. Das gilt für Dienstleistungen ebenso wie für Produkte. Natürlich verändert sich laufen die Art, wie ich mein Angebot erschaffe, die Produktionsseite also. Und das Risikomanagement wurde um neue Risiken, wie bspw. vorgängig angesprochen, erweitert. Dazu kommen neue Konkurrenten, ein veränderter Arbeitsmarkt usw. Ein Geschäftsmodell ist von vielen Faktoren abhängig und getrieben und jedes verhält sich anders bei Veränderungen. Es gibt kein 0815 Rezept für Digital Business.
Einige Unternehmen und Branchen scheinen jedoch Schwierigkeiten zu haben. Woran kann das liegen?
Sita Mazumder: Ein grosser Hemmschuh ist oft die Frage, wo man anfangen soll. Die eigentlichen Herausforderungen sind vielleicht noch nicht genügend analysiert, die technologischen Veränderungen komplex und die Angst, am falschen Ort mit den falschen Werkzeugen zu beginnen, gross. Das hat auch seine guten Gründe: falsch investiert, auch im Digitalbereich, kann schnell viel Geld verschlingen. Dann spielen auch regulatorische Unsicherheiten eine Rolle. Soweit möglich ist eine flexible Herangehensweise mit Wachsamkeit gefragt.
Wie sieht es mit dem Einfluss der Kundinnen und Kunden aus? Treibt deren Nachfrage nach Convenience diese Entwicklung parallel voran?
Sita Mazumder: Ja, definitiv. Kundinnen und Kunden fordern zunehmend Nutzen und Convenience. Klassisches Beispiel ist das Smartphone. Heutzutage wollen wir alles über das Smartphone erledigen können: E-Banking Fitnessmonitoring, Social Media, Loyalty Konto etc. – berufliche und private Anwendungen alles auf einem Gerät. Diese umfassende Nutzung ist für viele von uns selbstverständlich geworden. Wer hier nicht mithalten kann, gerät bei einem Gros der Kundschaft ins Hintertreffen. Natürlich haben wir auch hier einen klassischen Zielkonflikt: Sicherheit und Convenience. Unser vorangehendes Beispiel: Ein Smartphone, alles drauf. Als Unternehmen muss ich hier eine bewusste Entscheidung treffen, wieviel Kundenwunsch, wieviel Risiko für ein funktionierendes Geschäftsmodell.
Wie können Unternehmen demnach mit Cybersecurity und regulatorischen Herausforderungen umgehen?
Sita Mazumder: Es braucht wie so oft präventive aber auch kurative Massnahmen, um eine Resilienz zu schaffen. Das bedeutet, dass präventive Massnahmen notwendig, aber nicht hinreichend sind. Heute ebenso wichtig ist, dass Cyberrelevante Ereignisse schnellstmöglich erkannt werden und akkurat darauf reagiert werden kann. Themen wie Krisenmanagement, BCM und weitere gehören hier natürlich direkt dazu. Und das Ganze hat sich im umfassenden Risikomanagement zu bewegen, denn auch hier gilt es abzuschätzen, wie hoch bspw. der Risikoappetit ist, welche Risiken man bewusst nimmt, welche man vermeidet, versichert usw. Auch hier gilt, eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht.
Regulatorische Anforderungen spielen ebenfalls eine grosse Rolle und müssen aufmerksam verfolgt werden. Sich an die Normen zu halten, ist Voraussetzung. Gleichzeitig sollte man sich einen gewissen Handlungsspielraum bewahren. Das gilt für alle Bereiche, nicht nur Cybersecurity. Vorauseilender Gehorsam kann dazu führen, dass man sich Chancen unnötig vergibt.
Wie nimmt man Mitarbeitende mit auf diese Reise?
Sita Mazumder: Der «Human Factor» ist eines meiner Lieblingsthemen und für mich von enormer Bedeutung: Die tollste Technologie bringt nichts, wenn ich die Belegschaft nicht mit an Bord habe. Natürlich gibt es bei Menschen, sprich Mitarbeitenden, bei Veränderungen Bedenken und Ängste – das war schon immer so. Bei neuen Technologien wie bspw. Künstlicher Intelligenz (KI) ist das nicht anders. Gewisse hatten vielleicht noch keine oder wenig Berührungspunkte damit, können diese auch zu wenig greifen, lesen ganz unterschiedliche Dinge darüber usw. Hier sind Schulung und Aufklärung zentral, aber es beginnt damit, auf Augenhöhe zuzuhören und zu kommunizieren, sie ernst zu nehmen. Wenn Mitarbeitende verstehen, was die Veränderungen bedeuten, wie sie ihren Arbeitsalltag beeinflussen und welche Vorteile oder auch Nachteile auf sie zukommen, werden sie eher damit arbeiten. Und ja, alle kann man nie abholen. Auch das liegt in der Natur der Veränderung.
Dein Ratschlag für den Weg in die digitale Zukunft?
Sita Mazumder: Ratschläge sind immer so eine Sache. Was für das eine Unternehmen gilt, muss nicht automatisch auch für ein anderes passen. Generalistisch würde ich sagen, dass es für Unternehmen wichtig ist, die Strategie öfters zu überprüfen als die klassischen Lehrbücher empfehlen. Die Zeiten, in denen Strategie nur alle fünf Jahre überdacht wurde, sind vorbei. Das digitale Zeitalter hat die Geschwindigkeit in den Veränderungen erhöht und ob man es mag oder nicht, die technologischen Entwicklungen und ihre Effekte halten sich nicht an Strategieperioden. Das bedingt Flexibilität und Offenheit auch Geschäftsmodelle anzupassen.
Gibt es einen Moment aus deiner eigenen Erfahrung als Unternehmerin, der dir in diesem Zusammenhang besonders in Erinnerung geblieben ist?
Sita Mazumder: Da gibt es mehrere, aber ich möchte einen rauspicken, der vielleicht nicht so offensichtlich ist. Besonders in produzierenden Unternehmen sehe ich oft Unterschiede zwischen den Beschäftigen in den Werkhallen und jenen in den Büros. Erstere haben bspw. oft keine eigenen Arbeitsplätze oder online Zugänge. Vielfach gestalten wir unbewusst für Bürobeschäftigte, ganze Schulungsplattformen als ein Beispiel, toll gemacht und mit viel Aufwand, nur bleiben dann jene aussenvor, welche eben gar nicht darauf zugreifen können oder nur mit Hürden und Aufwand. Digitalisierung betrifft das ganze Unternehmen und es gilt entsprechend auch, alle mit auf diese Reise zu nehmen.
Hören Sie auch den Podcast mit Prof. Dr. Sita Mazumder zum Thema «Digitale Transformation»
Meike Tarabori
Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.