Die AI-first-Plattformen markieren einen tiefgreifenden Wandel: Sie machen KI zum Kern des Arbeitens und verbinden Daten, Systeme und Menschen auf neue Weise. Amy Lokey erklärt, wie ServiceNow mit konversationalen Schnittstellen, Agent Fabric und Voice Interaction eine neue Generation von Arbeitsumgebungen schafft. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt – unterstützt von intelligenten digitalen Kolleg:innen, die Routineaufgaben übernehmen, Transparenz schaffen und Kreativität fördern. KI wird so zum Partner, nicht zum Ersatz.
Im Gespräch mit Amy Lokey, Chief Experience Officer bei ServiceNow, wird deutlich, dass Künstliche Intelligenz nicht einfach die nächste technologische Welle markiert, sondern sie verändert grundlegend, wie Menschen mit Technologie interagieren. Im Interview erklärt sie, warum Enterprise-Software heute so nutzerzentriert sein muss wie Consumer-Produkte, welche Rolle Governance, Datenqualität und Vertrauen im Umgang mit KI spielen, und warum der Mensch trotz aller Automatisierung das kreative Herz jeder Innovation bleibt.
Sie sind Chief Experience Officer bei ServiceNow. Können Sie uns kurz erläutern, was genau Ihre Rolle umfasst?
Amy Lokey: Gerne. Als Chief Experience Officer verantworte ich sowohl die Produkt-User-Experience als auch die Customer Experience, also das gesamte Nutzungserlebnis über alle Kontaktpunkte hinweg. Meine Aufgabe ist es sicherzustellen, dass unsere Produkte nicht nur funktionieren, sondern den Menschen wirklich Freude bereiten, sie produktiver machen und ihnen den Alltag erleichtern.
Meine beruflichen Wurzeln liegen im Produktdesign. Ich habe mein gesamtes Berufsleben als digitale Produktdesignerin gearbeitet. Deshalb liegt mir besonders am Herzen, dass Design und Nutzererfahrung den gleichen Stellenwert haben wie Technologie und Funktionalität. Gleichzeitig sorge ich dafür, dass unsere Kundinnen und Kunden unsere Lösungen einfach übernehmen und erfolgreich einsetzen können.
Sie waren vor Ihrer Zeit bei ServiceNow unter anderem bei Google tätig. Welche Lehren aus der Konsumgüterwelt konnten Sie in den Unternehmenskontext übertragen und wo mussten Sie Ihr Denken neu ausrichten?
Ich bin überzeugt, dass Unternehmenssoftware genauso einfach, zugänglich und angenehm zu nutzen sein muss wie Consumer-Produkte – insbesondere in der Ära der Künstlichen Intelligenz. In der Vergangenheit hatten Mitarbeitende oft keine Wahl, welche Tools sie nutzen. Software wurde «von oben» eingeführt, und Benutzerfreundlichkeit spielte eine untergeordnete Rolle. Heute ist das anders. Mitarbeitende haben mehr Autonomie und wählen oft selbst, mit welchen Tools sie arbeiten wollen.
Zudem nutzen wir alle KI im privaten Alltag – etwa für Suche, Analyse oder Kommunikation. Diese Erfahrungen prägen die Erwartungen an Unternehmenssoftware. Nutzerinnen und Nutzer wollen dieselbe Intuitivität und Einfachheit auch im Arbeitskontext – nur mit noch höherer Genauigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Produktivität. Die Messlatte im beruflichen Umfeld liegt also deutlich höher.
In Ihrer Keynote am ServiceNow Summit 2025 in Zürich sagten Sie, dass der Wechsel zu einer «AI-first-Plattform» nicht einfach die nächste technologische Welle sei, sondern ein grundlegender Wandel. Was meinen Sie damit?
Weil die Möglichkeiten von KI erst am Anfang stehen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten mehrere technologische Paradigmenwechsel erlebt, von der Kommandozeile über grafische Benutzeroberflächen bis hin zu mobilen Touch-Oberflächen. Jetzt verändert sich nicht nur die Art, wie wir mit Technologie interagieren, sondern auch die Technologie selbst. Mit AI Agents entsteht eine völlig neue Dimension: Es handelt sich nicht mehr um eine einfache Mensch-Computer-Beziehung, sondern um eine Zusammenarbeit mit autonomen Agenten, die Aufgaben selbstständig übernehmen und Ergebnisse zurückliefern.
Besonders spannend ist dabei der «conversational» Zugang. Sprache ist die natürlichste Form der Kommunikation und macht Technologie für alle zugänglicher. Damit wird der Umgang mit komplexen Systemen so einfach wie ein Gespräch.
Viele Unternehmen haben jedoch komplexe, fragmentierte Systemlandschaften. Wie können Organisationen erfolgreich auf eine AI-first-Plattform umsteigen und wie unterstützt ServiceNow dabei?
ServiceNow hat schon lange eine Plattform, die sich nahtlos in andere Systeme integrieren lässt. Wir bieten eine Engagement-Schicht, die als Schnittstelle zwischen Anwendungen dient, und genau darauf bauen wir jetzt auf.
Im Gegensatz zu vielen anderen Anbietern, deren KI-Funktionen isoliert in einzelnen Anwendungen laufen, sitzt unsere KI-Schicht auf der gesamten Plattform. Sie greift über den «Workflow Data Fabric» auf Daten aus verschiedenen Systemen zu und kann Aktionen auslösen, ohne dass Nutzer in die jeweilige Anwendung wechseln müssen. Das schafft eine einheitliche, intelligente Nutzererfahrung über Systemgrenzen hinweg.
Sie sprachen auch von der Kombination aus Datenzugriff und «Agent Fabric». Können Sie erklären, wie diese Komponenten zusammenspielen?
Beides arbeitet Hand in Hand. Neben dem Datenzugriff über den «Data Fabric» verfügen wir über eine «Agent Fabric», die es unseren KI-Agenten ermöglicht, mit anderen Agenten, wie beispielsweise etwa Microsoft Copilot, zu kommunizieren.
Mit dem AI Control Tower behalten Unternehmen zudem den Überblick und können steuern, wie interne und externe Agenten miteinander interagieren. So entsteht eine governed AI-Landschaft, in der Zusammenarbeit, Transparenz und Sicherheit gewährleistet bleiben.
Im neusten «Zurich Release» haben Sie neue Funktionen wie Voice Interaction, Web Agents, AI Data Explorer und AI Lens vorgestellt. Wie verändern diese Innovationen den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden?
Unser Ziel ist, dass Menschen mit Technologie so interagieren können, wie es für sie im Moment am natürlichsten ist, ob per Sprache, Bild oder Text. Voice Interaction eröffnet neue Möglichkeiten, etwa für Barrierefreiheit oder mobiles Arbeiten. Mit AI Lens können Nutzer einfach einen Bildschirmausschnitt teilen, anstatt ein Problem umständlich zu beschreiben. Und Web Agents übernehmen wiederkehrende Aufgaben wie das Ausfüllen von Formularen direkt im Browser. All diese Funktionen schaffen eine multimodale, nahtlose Nutzererfahrung und machen KI dort zugänglich, wo sie gebraucht wird.
Zudem spielt proaktive und prädiktive Intelligenz eine zentrale Rolle: Unsere Agenten zeigen transparent, welche Datenquellen und Analysen sie nutzen, und schlagen auf Basis dieser Erkenntnisse konkrete Handlungsempfehlungen vor – die Entscheidung bleibt aber beim Menschen.
Sie haben in der Demo ein Beispiel von AstraZeneca gezeigt, wo KI-Agenten Arbeitsabläufe vollständig automatisieren. Wie verändert das die Rolle der Mitarbeitenden?
Es fühlt sich an, als hätte jede Person plötzlich ein Team digitaler Kolleginnen und Kollegen. Diese übernehmen Routineaufgaben, sodass sich die Mitarbeitenden auf anspruchsvollere, kreative Tätigkeiten konzentrieren können. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass ein Laborleiter bei AstraZeneca nicht mehr Stunden für Inventuren oder Bestellungen aufwenden muss, KI-Agenten erledigen das eigenständig. Das steigert nicht nur Effizienz, sondern auch die Zufriedenheit und Produktivität.
Sind Unternehmen heute bereits bereit für diesen Schritt, oder sehen wir hier eher eine Vision der Zukunft?
Viele Organisationen sind bereits auf einem guten Weg. Produktivitätsanwendungen wie IT- oder HR-Workspaces lassen sich schnell mit KI-Funktionen anreichern, wie etwa mit automatischer Fallzusammenfassung, Antwortvorschlägen oder Wissensartikeln. Etwas mehr Vorbereitung braucht es bei Daten- und Wissensqualität, vor allem in Bereichen mit großen Informationsmengen. Schlechte Daten führen zu schlechten KI-Ergebnissen – daher ist «Data Hygiene» ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Wie wichtig ist Governance und Compliance, gerade im Hinblick auf den EU AI Act?
Sehr wichtig. Mit dem AI Control Tower schaffen wir Transparenz über alle eingesetzten KI-Agenten: Wie werden sie genutzt, wo bringen sie Mehrwert, wo müssen sie nachjustiert werden? Unternehmen können nicht nur die Effizienz und Akzeptanz ihrer KI messen, sondern auch Regelkonformität und Sicherheit sicherstellen und bei Bedarf schnell eingreifen. Das stärkt Vertrauen, schafft Kontrolle und hilft gleichzeitig, neue Einsatzmöglichkeiten zu identifizieren.
Eine Vision, die erwähnt wurde, ist der «Zero Service Desk». Wie realistisch ist das heute?
Sehr realistisch, zumindest teilweise. KI eignet sich hervorragend für wiederkehrende, vorhersehbare Aufgaben im First-Level-Support. Dabei geht es nicht um das Ersetzen von Menschen, sondern um das Befreien von monotoner Arbeit, damit Mitarbeitende sich auf komplexere, individuelle Fälle konzentrieren können.
Wenn Sie den Transfer von der Consumer Experience zur Enterprise Experience betrachten, sind wir mit der neuen AI-Plattform dort angekommen?
Absolut. Wir bewegen uns hin zu einer einfacheren, Unterhaltungs-Interaktion mit Technologie. KI ermöglicht es, komplexe Daten in intuitive, visuelle Oberflächen zu übersetzen, ganz nach dem Prinzip «Fragen, verstehen, handeln». Mit jeder neuen Generation von KI-Funktionen wird der Arbeitsplatz produktiver, intuitiver und nahtloser. Wir nähern uns einer Arbeitsweise, in der Menschen ihre Aufgaben direkt im Gespräch mit der Technologie erledigen können, ganz, ohne zwischen Anwendungen wechseln zu müssen.
Zum Abschluss: Wenn KI immer mehr Aufgaben übernimmt, wo bleibt der Mensch unersetzlich?
Der Mensch bleibt das kreative Zentrum. Vision, Empathie, kritisches Denken und Innovationskraft sind Eigenschaften, die keine Maschine ersetzen kann. KI kann analysieren, lernen und wiederholen, aber sie kann keine Zukunft gestalten. Wir brauchen Menschen, die entscheiden, welche Probleme gelöst werden sollen und wie Technologie dabei helfen kann. Oder, wie ich es gerne sage: «Wir sind die Dirigent:innen eines Orchesters aus KI-Systemen, aber die Musik entsteht durch unsere Vorstellungskraft.»
Dieses Interview basiert auf dem Podcast Meikes Raumzeit – Episode 56 «How AI Agents Are Redefining the User Experience«
Meike Tarabori
Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.

