Mit Blick auf ein erfolgreiches Omnichannel-Management sind sich Expert:innen einig: Selten war es so relevant, die Customer Journey fundiert zu kennen. Doch welche Hilfsmittel sind dazu am verlässlichsten: ChatGPT, Mitarbeitende oder Kunden? Generiert ChatGPT bereits die präziseren Ergebnisse als Mitarbeitende oder gar Kund:innen? Das Resultat überrascht! Eine aktuelle Bestandsaufnahme.
Damit wir kein Durcheinander veranstalten, möchten wir gerade zu Beginn darauf hinweisen: Nach unserem Verständnis beschreibt die Customer Journey die Reise einer (potenziellen) Kund:in über verschiedene Touchpoints – sei es mit einem Produkt, einer Marke oder einem Unternehmen. Es geht also um das Kundenverhalten und weniger um die Ausgestaltung von Kundenprozessen. Daher macht es Sinn, das Informations- und Kaufverhalten von tatsächlichen und potenziellen Kund:innen à fond zu verstehen. Optimalerweise mit allen Off- und Online-Touchpoints vom Anfang bis zum Ende.
Dieses geballte Wissen ermöglicht es Unternehmen, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und mit gezielten Massnahmen den Markt bzw. die Kundenbedürfnisse zu bearbeiten. So kann die Wirkung von Strategien, Kampagnen und der ROI auf einer belastbaren Entscheidungsgrundlage maximiert sowie Ressourcen und Budgets optimal eingesetzt werden. So weit, so gut.
Innensicht versus Aussensicht
Seit vielen Jahren fragen wir im Nachgang zu einer durchgeführten Touchpoint-Analyse jeweils das Projektteam unserer Auftraggeber:innen folgende Frage: Was meint ihr, welches sind die 10 wichtigsten Touchpoints eurer (potenziellen) Kund:innen? Natürlich stellen wir diese Frage auf der Grundlage einer gemeinsam erstellten Liste, in welcher bis zu 100 unterschiedliche analoge und digitale Touchpoints aus allen Kategorien – owned, paid und earned – enthalten sind. Dann vergleichen wir die Antworten der Mitarbeitenden mit den Forschungsergebnissen.
Ein Eye Opener: Die Diskrepanz zwischen Innensicht (Mitarbeitende) und Aussensicht (potenzielle und tatsächliche Kund:innen) ist beträchtlich und offenbart, dass rund die Hälfte aus dem Blickwinkel der Mitarbeitenden «anders» oder «falsch» eingeschätzt wird. Zudem setzen die einzelnen Abteilungen oder Silos wenig überraschend auch unterschiedliche Prioritäten. Diese Haupterkenntnisse machten wir in den letzten Jahren über alle Branchen und Unternehmen hinweg. Hinzuzufügen wäre, dass die Aufgabe anspruchsvoller ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Unsere Erfahrung aus KI-Projekten
Wir sind positiv und fest davon überzeugt, dass sich Künstliche Intelligenz (KI) in vielen Bereichen durchsetzen wird und unser Leben in vielerlei Hinsicht verändern kann. Beeindruckt sind wir aktuell vor allem durch die Möglichkeiten mit Text, Bild oder gar Ton. ChatGPT und ähnliche Programme gewinnen tagtäglich an Popularität und entwickeln sich weiter. Doch bieten diese Tools, wenn es um Zahlen oder eben Kundenwissen geht, wirklich so viele Vorteile, wie es den Anschein macht
Mit Künstlicher Intelligenz, Machine Learning oder anderen superschlauen Algorithmen haben wir in den letzten Jahren über verschiedenste Entwicklungs- und auch Forschungsprojekte Erfahrungen sammeln können. Zuletzt durften wir als Praxispartner zusammen mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), einem Spin-Off der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in einem Forschungsprojekt mit synthetischen Daten der Innosuisse (Schweizerische Agentur für Innovationsförderung) mitwirken.
To Cut a Long Story Short: Leider gelang es nicht, die Präzision und Richtigkeit der produzierten Daten im Projektverlauf substanziell zu verbessern. Auch nach vielen Trainingsrunden machte die KI immer noch zu viele Fehler. Nichtsdestotrotz konnten wir in diesem ergebnisoffenen Projekt viel lernen und aussagekräftige Erkenntnisse für unsere eigenen Innovationen mitnehmen.
Das neueste Experiment
Im neuesten Experiment sind dabei drei Bewertungen von drei unterschiedlichen Parteien:
- Bewertung durch (potenzielle) Kund:innen (Aussensicht): Als Beurteilungsgrundlage haben wir eine repräsentative 360°TOUCHPOINT-Studie ausgewählt, in welcher rund 1’000 Proband:innen teilgenommen haben. Mit Blick auf die Customer Journey bewerteten diese knapp siebzig Touchpoints. Das Ranking in der Tabelle ergibt sich aus der Reichweite und der Relevanz der Touchpoints, so wie sie von den Studienteilnehmer:innen bewertet wurden.
- Bewertung durch das Projektteam (Innensicht): Basierend auf der verwendeten Touchpoint-Liste wurde ebenfalls das Projektteam unseres Auftraggebers eingeladen, die 10 wichtigsten Touchpoints der Kund:innen zu bestimmen. Von den Top 10 Touchpoints wurden durchschnittlich nur sechs richtig getippt, was die Diskrepanz zwischen Innensicht und Aussensicht klar zum Ausdruck bringt. Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? 100%ig halb voll: da liegt ein äusserst attraktives Optimierungspotenzial!
- Bewertung durch ChatGPT (KI-Output): Gespannt waren wir auf die ChatGPT-Meinung! Würde ChatGPT besser abschneiden als Kund:innen oder gar Mitarbeitende, welche mit der Thematik doch deutlich vertrauter sind? Wir haben das Tool also gefragt: «Welches sind die 10 wichtigsten Touchpoints in der untersuchten FMCG-Produktkategorie?». Wie gewohnt erhielten wir schon nach wenigen Sekunden eine beeindruckende Antwort. Hinsichtlich Präzision und Richtigkeit war diese aber ernüchternd: Nur drei Touchpoints wurden durch die Software richtig eingeordnet.
Resultat und Lessons Learned
Unser Versuch zeigt, dass die Präzision und Richtigkeit der Antworten von ChatGPT (noch) zu wünschen übrig lassen. Der Abgleich mit der wissenschaftlich validierten Methode von 360° TOUCHPOINT legt die Potenziale offen:
- Die Fehlerquote der Mitarbeitenden (Innensicht) sowie ChatGPT (KI-Output) im Abgleich mit den Studienergebnissen (Aussensicht) ist gross;
- die Empfehlungen von ChatGPT und den Mitarbeitenden sind ganz unterschiedlich und verdeutlichen, dass wenig Fokus und wenig Gleichschaltung resp. Alignment vorhanden ist.
Wie das aktuelle Experiment eindrücklich zeigt, lohnt es sich, Customer Journeys, Touchpoints und Marktbearbeitungs-Mixes (Mix-Modelling) zu validieren. Dadurch kann eine effiziente und effektive Marktbearbeitung sichergestellt und brachliegende Erfolgspotenziale erschlossen werden. Und diese Potenziale sind äusserst attraktiv: Aufgrund der beschleunigten Veränderungsdynamik liegen diese rasch zwischen 30 % bis 50 %!
Erkenntnistransfer in den Praxisalltag
Die besten Erkenntnisse sind bekanntlich wertlos, wenn sie nicht im geschäftlichen Umfeld angewendet werden. Der Wissens-Praxis-Transfer ist daher ein ganz zentraler Erfolgsfaktor. Leider wird dieser Transfer noch zu häufig unterschätzt. Insgesamt geht es doch darum, das erarbeitete Wissen so aufzubereiten, dass es im Praxisalltag nutzbar gemacht und für konkrete Herausforderungen in der Marktbearbeitung genutzt werden kann. Unterstützt wird dieses Vorhaben u.a. durch folgende Kriterien:
- Schulung und regelmässiger Erfahrungsaustausch: Involvierte Mitarbeitende müssen gut geschult werden und ein kontinuierlicher Austausch soll dafür sorgen, dass gemachte Erfahrungen in die Weiterentwicklung einfliessen.
- Interpretierbarkeit und Transparenz: Das Vertrauen in Modelle wird gefördert, wenn diese erklärbar sind. Anwender und Stakeholder müssen Entscheidungsgrundlagen verstehen.
- Praxistests und Validierung sind notwendig, um die Leistung und Zuverlässigkeit der angewendeten Modelle regelmässig zu überprüfen und zu optimieren.
- Datenschutz und Sicherheit: Modelle müssen vor Angriffen geschützt und der Datenschutz muss gewährleistet sein.
- Kontinuierliches Monitoring: Abweichungen oder Fehlfunktionen müssen erkannt werden. Regelmässige Prüfungen müssen eingeplant werden.
Über die Autoren
Isabella Fink ist Project Managerin bei Accelerom AG. Sie besitzt einen Masterabschluss der Universität Bern in Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik.
Christoph Spengler ist Geschäftsführer des Beratungs- und Forschungsunternehmens Accelerom AG. Zu seinen Kernkompetenzen zählen Management, Marketing, Vertrieb und Unternehmensentwicklung. Davor war er in leitenden Funktionen bei Unilever, McDonald’s sowie PWC tätig. Nebenamtlich ist Christoph Spengler auch als Gastreferent und Dozent für strategische Marketing- und Vertriebssteuerung an verschiedenen Hochschulen tätig
Über die Autorin
Isabella Fink ist Project Managerin bei Accelerom AG. Sie besitzt einen Masterabschluss der Universität Bern in Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik. Christoph Spengler ist Geschäftsführer des Beratungs- und Forschungsunternehmens Accelerom AG. Zu seinen Kernkompetenzen zählen Management, Marketing, Vertrieb und Unternehmensentwicklung. Davor war er in leitenden Funktionen bei Unilever, McDonald’s sowie PWC tätig. Nebenamtlich ist Christoph Spengler auch als Gastreferent und Dozent für strategische Marketing- und Vertriebssteuerung an verschiedenen Hochschulen tätig