In 10 Praxisreferaten gewannen die Teilnehmenden am Swiss Customer Service Summit 2025 Einblick in die Chancen und Möglichkeiten von KI im Kundenservice. Vom Family Business bis zum globalen Konzern: Die Unternehmen präsentierten Use Cases, Best Practice Cases sowie Lessons Learned. Was alle 10 Vorträge miteinander verbindet: Voice bleibt. Live Chat geht. KI rückt vor und übernimmt Aufgaben. Sie braucht allerdings laufende Pflege. Selbstläufer gibt es im Kundenservice weiterhin nicht. Dafür wird Change Management zu einem wichtigen Begleiter im Zusammenspiel der Agent:innen mit der KI, wenn es darum geht, das Kundenerlebnis in die Zukunft zu führen.
KI im Betreuungsalltag: Mehr Zeit für Pflege
Digitalisierung in der Pflege? Die Stiftung Brändi macht’s vor und integriert KI in die Serviceprozesse, um Mehrwert für Patient:innen, Mitarbeitende und die Organisation zu schaffen. In Kooperation mit aiaibot hat das Team eine eigene KI basierend auf dem Unternehmens-Kontext und Wissensinhalten, die nicht im Web verfügbar sind, entwickelt. «Der Appetit kam mit dem Essen», berichtet Dr. Andreas Liedtke, Leiter Transformation, Digitalisierung und ICT sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei der Stiftung Brändi. «Die besten Ideen zur Weiterentwicklung der KI kamen von den Mitarbeitenden.»
Nach der Integration der KI auf der Webseite und im Intranet fand die KI auch im Ticket Support Einzug und ist heute bis tief hinein in die Kernapplikation – das Klientenjournal – integriert. Dort hilft sie, die Dokumentation zu vereinfachen und zu analysieren. Als nächsten Schritt plant Brändi die Verknüpfung der KI mit dem Webshop sowie ein inklusives Intranet mit Spracherkennung. Bei allen Vorzügen: Ein Selbstläufer ist die KI nicht. «KI-Integration ist eine laufende Bildungsreise ohne Ziellinie», weiss Liedtke. Dennoch lohne sich die Reise – auch oder gerade in einer Branche, die man nicht mit KI und proaktivem Innovationsgeist in Verbindung bringt.
Digital UND menschlich: Service-Transformation bei Valiant
Starkes Wachstum zwang Valiant dazu, Digitalisierung und KI zu priorisieren. Dabei geriet der Kundenservice in Vergessenheit – aber nur fast. Monika Bridge, Leiterin Kundenservice, will es den Kunden möglichst einfach machen und auch die Mitarbeitenden mit auf die digitale Reise nehmen. Begleitet von intensiven Change Aktivitäten wurden die beiden Einheiten – eBanking und Kundenservice – zusammengelegt. «Den Prozess haben nicht wir gestartet, sondern der Kunde», berichtet Bridge. Ihm sei es schliesslich egal, welches Team sein Anliegen bearbeitet – Hauptsache, es wird schnell gelöst. Seither ist viel passiert: Eine kundenfreundliche IVR, Rückrufservices, Winback Call bei langen Wartezeiten und der Ausbau von Selfservice finden Anklang. Auch bei den Mitarbeitenden. Diesen steht es nun frei, sich von First bis Third Level Support agil weiterzuentwickeln.
Neue Teammitglieder sind dank digitaler Helfer innert einer Woche voll produktiv – davor belief sich die Einarbeitung auf 1 bis 2 Monate. Trotz aller Vorzüge von Bots und GPT will die Bank weiterhin die persönliche Note an analogen Touchpoints zelebrieren. «Als Regionalbank wollen wir Menschlichkeit zeigen».
Kundenservice in Extremsituationen
Überschwemmungen, Sturmwind, Hagel – Elementarereignisse sowie grössere und kleinere Katastrophen zählen zum Tagesgeschäft der Gebäudeversicherung Bern. Dass Kund:innen schnell und unbürokratisch Hilfe erhalten, ist das Ziel der Versicherung – auch bei Peaks, verursacht beispielsweise durch ein Grossereignis. «Trotz digitaler Möglichkeiten bleibt das Telefon im Schadenfall der beliebteste Kanal», berichtet Corinne Fleury, Leiterin Innovation bei der GVB. 40% der Schäden werden telefonisch gemeldet. Dies ist einerseits der ausserordentlichen Situation geschuldet – aber auch dem Altersdurchschnitt der GVB Kund:innen, Immobilienbesitzer mit einem Altersdurchschnitt von 60 Jahren. Um die Telefonie kurzfristig zu skalieren, springen Kolleg:innen aus anderen Abteilungen ein, um das Zehnfache an Volumen zu stemmen. Das hilft – allerdings nur bedingt. Die Kunden mussten in der Vergangenheit dennoch in der Warteschleife warten, sprangen ab, riefen wieder an. Deshalb startete die GVB einen POC mit einem Voicebot, der Bärndütsch ins Hochdeutsche transkribiert. Die ersten Ergebnisse überzeugten, und so konnte iterativ eine Innovationskultur mit vielen kleinen Schritten etabliert werden.
Voicebot Berna triagiert und steuert heute aus, erkennt den Anrufgrund, sorgt für eine strukturierte Gesprächsabfolge und transferiert den Kunden bei Bedarf an den richtigen Mitarbeitenden. In ersten Use Cases wie Hagel und Sturmwind konnte Berna die GVB Kundinnen bereits überzeugen. In Zukunft soll Berna auch bei Elementarereignissen zum Einsatz kommen. Das Erfolgsrezept? «Es braucht exzellentes Promting, Daten und Erfolgsmessung», weiss Corinne Fleury. Ihre Learnings:
«Think big, start small» – rasch live gehen und lernen hilft dabei, Leuchttürme zu zeigen und Mitarbeitende mitzunehmen.
Diese werden nicht ersetzt, sondern entsprechend ihrer Superkräfte – Menschlichkeit und Empathie – weiterentwickelt. Auch der Einbezug anderer Teams wie Rechtsdienste lohne sich, so die Innovationsheldin.
KI in der Ausbildung? Äuä scho!
Eine hohe Fluktuation, interne Wechsel, laufende Ein- und Nachschulung der Mitarbeitenden – jedes Contactcenter kennt die Herausforderungen im Wettbewerb um Talente. BEKB setzt neu auf KI, um die Mitarbeitenden einheitlich zu schulen: Magali Defferrard, Leiterin Kundenservice, und Marco Aures, Innovationsmanager, haben zusammen mit Spitch einen Simulator demonstriert, welcher Kunden praxisnah entlang des Lehrplans der Agent:innen simuliert. Obwohl die Technologie noch jung ist und eine gewisse Vorbereitungszeit eingeplant werden muss, stachen nach einer zweimonatigen Testphase bereits erste Leuchttürme hervor: Neben der kostengünstigen, schnellen und gleichmässigen Ausbildung wird insbesondere die Objektivität in den Bewertungen von den Mitarbeitenden geschätzt. Erste Feedbacks zeigen, dass sie sich mit den Simulationsgesprächen gut vorbereitet fühlen und eine noch bessere Vorstellung gewinnen, was sie in den «echten» Gesprächen erwartet. Künftig wird die Trainings-KI auch für neue Produkte und Dienstleistungen weiterentwickelt, um verschiedene Szenarien zu trainieren.
Co-Intelligence: Dank GenAI zum augmentierten Agent
Luis Bosshard, Director Customer Care Center Non Life bei Generali Schweiz, zeigte in seinem Impulsvortrag auf, wie Mensch und Generative KI zusammen Kundenerlebnisse schaffen können, die begeistern. Die GenAI Reise von Generali begann schon früh mit E-Mails Bots, Chatbots, Routing und Self Services. Nun soll die KI weitere Aufgaben übernehmen, um die Mitarbeitenden von Routineaufgaben freizuspielen. «KI ist kein Tech-Projekt, sondern Kulturwandel», bestätigt Luis Bosshard. Die Mitarbeitenden mussten erst Vertrauen in die neue Technologie gewinnen, und gestalten heute die Geschäftsvorfälle, welche die KI übernimmt, aktiv mit.
Change Coaches unterstützen die Mitarbeitenden beim Wandel. Die Erfahrung der Mitarbeitenden bleibt der Schlüssel zum Erfolg: «Unsere Agent:innen kennen die Erwartungshaltung der Kunden. Die menschliche Kontrolle der KI bleibt essenziell. Überwachung, Pflege und Weiterentwicklung sind eine Daueraufgabe», so Bosshard. Künftig soll die KI die Mitarbeitenden noch stärker während ihrer Tätigkeit unterstützen, Stichwort Agentic AI, um den Gap in der Erwartungshaltung von Kunden, Mitarbeitenden und Unternehmen zu schliessen.
B2B2C Integration im Partnerportal
Dass ServiceNow auch klein kann, beweist der Use Case der Elektrizitäts- und Wasserwerke der Stadt Buchs. Als lokaler Betreiber versorgt ewb 30’000 Kund:innen mit Internet, Mobile, TV und Festnetz, welche über Partner vertrieben werden. Für diese Partner hat ewb ein Portal lanciert, welches die Prozesse – von Genehmigungen über Angebote, Verträge, Lager und Wissensdokumentation, auf einer Plattform zentralisiert und mit automatisierten Workflows den Arbeitsalltag unterstützt. Zu Beginn war der Widerstand gross: Die Mitarbeitenden haben die Dokumentation der Lösungen als Hürde betrachtet. Doch rasch wurde klar, dass sie auf diese Weise die Intelligenz des Systems viel besser nutzen können, um Probleme wie Störungen, Wartungen etc. schneller zu lösen. «Alleine schon bei Umzügen und Adressmutationen sparen wir jetzt 60% der Arbeitszeit», freut sich Harald Göldi, IT-Projektleiter bei ewb. Dass Digitalisierung im KMU auch Kunden glücklich macht, zeigt die jüngste Zufriedenheitsumfrage, welche ewb zum NPS Champion mit einer hohen Weiterempfehlungsrate kürt. Göldi kann sich eine Ausweitung des Systems auch auf weitere Bereiche vorstellen: «Allein schon der digitale Bestellprozess hat die Lizenzkosten eingespielt», so der Projektverantwortliche.
Kundennähe dank Offenheit
«Was zählt, ist der Dienst am Kunden», zitiert Antonio Zullino, Leiter Kundencenter und Deputy COO bei Migros Bank, den Migros Gründer Gottlieb Duttweiler. Dass Tools im Dienst der Menschen stehen und dieselbe Sprache sprechen müssen, ist bei Migros Bank daher kein Zufall, sondern Ergebnis ihrer Strategie. Verschiedene Best in Breed-Technologien wurden bewusst in einer ersten Phase implementiert, um zu testen und zu lernen. Was allerdings noch fehlte, war die durchgehende Orchestrierung und die End-to-End-Sicht aus Kunden- und aus Mitarbeitersicht. Als Pionierin im Bankensektor zügelte die Migros Bank daher den Kundenservice in die Genesys Cloud, um aus einer Plattform heraus sämtliche Technologien integrativ zu vereinen und ein orchestriertes Serviceerlebnis zu bieten.
«Technologie ist nur dann gut, wenn sie mit Herz und Verstand von Menschen korrekt eingesetzt wird», so Toni Zullino. «Die Offenheit und laufende Weiterentwicklung der Plattform war für uns der Schlüssel für die Optimierung der Kundenerlebnisse», so Zullino. Nur integrierte Kanäle lassen Kundenherzen höherschlagen. Die Reise hat gerade erst begonnen. Nächste Schritte in Richtung KI und Mitarbeiter Engagement werden folgen. «Das orchestrierte Zusammenspiel wertet die Jobprofile der 150 Kundenservice-Mitarbeitenden auf, und macht sie zu aktiven Gestalter:innen der Migros Bank KI Geschichte.»
Mehr Effizienz dank KI Agenten
Einen modernen und skalierbaren Kundenservice streben auch ePost und KLARA, die Digitalisierungsplattform für KMU, an. Leander Gabathuler, Head of Sales und Customer Success, gab Einblick, wie nach einem rasanten Wachstum der Service in Verzug geriet. Das Team verschaffte sich durch den Einsatz der Zendesk KI Luft durch den Wegfall von Routineanfragen. «Unser Bot versteht mittlerweile den Kontext und kann Antworten frei formulieren», so Gabathuler. Entscheidungsbäume helfen dabei, laufend präzisere Antworten zu liefern. Die Zusammenfassungen und Berichte werden automatisch transkribiert und erstellt. Das bietet mehr Zeit für komplexe Anfragen. Auch für die Zukunft hat das Team viel vor: Mehr Infos und Daten für die KI sollen für noch präzisere Antworten und eine Priorisierung der Anrufursachen sorgen, um gezielt anzusetzen und KPIs zu optimieren.
Vom Voice Bot zu Agentic AI
Bei SwissLife soll sich der Kundenkontakt anfühlen wie ein Gespräch mit einer Freundin. Deshalb haben Julian Hyde, Project Manager AI, und Ingo Bernstein, Call Center Spezialist, die IVR abgeschafft. Kund:innen gelangen neu mittels einer offenen Frage und Intent-Erkennung mittels Sprache zur richtigen Person. «Ein wichtiger Use Case, mit dem viele andere Themen verknüpft sind», weiss Hyde, und nennt u. a. die Overflow-Bearbeitung, Schadenaufnahme, Stammdatenpflege, Kundensegmentierung, Prozesssteuerung und -optimierung. Für die Zukunft plant SwissLife zusammen mit Parloa und MUUUH!, verstärkt auf AI Agents zu setzen, um Kundenerwartungen, Verfügbarkeit und Kontext noch besser zu begreifen: «Der Bot soll wissen, was der Kunde will – und im Idealfall das Anliegen erledigen oder an den richtigen Mitarbeiter triagieren.»
Von der fragmentierten Landschaft zur digitalen Serviceplattform
Nicht nur ein gesundes Raumklima, auch zukunftsfähiger Kundenservice mit gesunden Prozessen steht beim Familienbetrieb Zehnder im Fokus. Der Weg zur digitalen Kundenserviceplattform war steinig, aber die Mühe hat sich gelohnt, berichtet Harald Pfeifer, Lead Project Management Group IT. Mit Einführung der SAP Sales Cloud und Integration von CRM und Field Management gelang dem Team die vollständige 360°-Sicht auf den Kunden. Schnelle, transparente Beantwortung der Kundenanfragen sowie ein beachtliches Mass an Effizienz durch Automatisierung führten zu einem neuen Hoch in der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit.
«Mitarbeitende können sich dank der ganzheitlichen Sicht auf den Service und nicht auf das Bedienen der Systeme fokussieren», berichtet Pfeifer. Im Selfservice geniessen Kund:innen den Komfort geführter Prozesse, während sie im Portal alle Infos einsehen können. Beim Design des Portals wurden Kunden einbezogen, um Feedback zu geben und Wünsche zu platzieren. Die Mitarbeitenden wurden in Trainings und begleitenden Change Management Massnahmen abgeholt, um von den Benefits und Mehrwerten der Plattform zu profitieren.
Save the Date
10 Praxisreferate – 10 authentische Einblicke in den Kundenservice der Zukunft, der wohl von KI, aber insbesondere vom Menschen geprägt sein wird. Der nächste Swiss Customer Service Summit findet am 24. September 2026 im Kongresshaus Zürich statt.

Claudia Gabler
Claudia Gabler ist Kommunikationsexpertin und Chief Happiness Officer bei FYNEST Agency. Die Kombination aus Kommunikation und Happiness Studies teilt sie leidenschaftlich gern in Workshops, Impulsvorträgen und auf LinkedIn Learning.