Service Excellence bedeutet, Kundenbedürfnisse zu antizipieren und kontinuierlich anzupassen. Durch strategische Kundenorientierung, interdisziplinäre Zusammenarbeit und technische Innovationen wie Voicebots wurde der Kundenservice revolutioniert. Das Kundencenter ist nicht nur Support, sondern aktiv im Beratungsverkauf eingebunden. Agile Teams entwickeln neue Features, während KPIs wie der Net Promoter Score die Kundenzufriedenheit sichern. Künstliche Intelligenz wird zunehmend integriert, bleibt jedoch ergänzend zu persönlichem Service. Der Kundenservice bleibt essenziell für langfristigen Erfolg.
Die Bedeutung von Service Excellence hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt, insbesondere im Bankensektor. Antonio Zullino, Leiter Kundencenter und Mitglied der Direktion bei der Migros Bank, gewährt uns in diesem Gespräch einen Einblick in die Veränderungen und wie das Unternehmen Kundenorientierung strategisch verankert hat.
Was bedeutet für Dich persönlich «Service Excellence»?
Antonio Zullino: Service Excellence bedeutet für mich nicht nur die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen an einen erstklassigen Kundenservice, sondern auch die kontinuierliche Anpassung an sich wandelnde Kundenbedürfnisse.
Wie definiert die Migros Bank «Kundenorientierung“ und wie hat sich dies im Laufe der Zeit entwickelt?
Antonio Zullino: In den letzten 20 Jahren haben sich die Aufgaben des Kundencenters der Migros Bank stark verändert. Früher ging es hauptsächlich um Kontostandabfragen, während wir heute komplexe E-Banking-Anwendungen unterstützen und Kunden in verschiedenen Finanzbereichen betreuen. Kundenorientierung hat bei uns einen zentralen Stellenwert. Anders als früher, als die Kundenbeziehung noch primär vom Kundenberater ausging und geführt wurde, sind heute alle Mitarbeitenden für den Kunden verantwortlich. Das ermöglicht es uns, schneller und effektiver auf Kundenanliegen einzugehen und das über alle Abteilungen und Touchpoints hinweg.
Ist Kundenorientierung also strategisch verankert?
Antonio Zullino: Ja, Kundenorientierung ist bei uns strategisch fest verankert. Durch einen Wechsel des CEO vor etwa drei Jahren hat sich die Ausrichtung der Bank verändert, und die Kundenbetreuung wurde verstärkt in den Fokus gerückt. Ein entscheidender Moment war ein Mittagessen mit unserem CEO, bei dem die Frage im Raum stand: Wie können wir das Kundencenter zu einem Benchmark machen? Dies führte zu einer deutlichen Aufwertung des Kundenservices und zu einem Vetorecht. Sprich, das Kundencenter hat die Möglichkeit, direkt über die Geschäftsleitung Anträge oder Initiativen temporär zu stoppen.
Habt ihr dieses Vetorecht schon mal genutzt?
Antonio Zullino: Ja, wir haben das Vetorecht bisher zweimal genutzt. Dies war noch zu der Phase, als der Kundenservice nicht optimal performte und eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit weniger gelebt wurde. Heute ist die interdisziplinäre Kooperation integraler Bestandteil der Unternehmenskultur, und jeder Bereich arbeitet eng zusammen, sodass wir das Vetorecht des Kundencenters nicht mehr benötigt haben.
Welche Massnahmen wurden ergriffen, um das Kundencenter zu optimieren?
Antonio Zullino: Es wurden verschiedene Hebel betätigt, darunter technische Verbesserungen wie unter anderem die Investition in die Voicebot-Technologie oder den Rückrufservice. Zudem wurden Ressourcen aufgestockt und die Kollaboration mit einem externen Partner verstärkt, um Calls effektiver zu managen. Die Rolle des Channel direkten Einfluss auf alle Aktivitäten der Bank hat, um Überlastungen im Kundenservice zu vermeiden. Ich selber habe das Vergnügen, diese Aufgabe des Channel Managers auszuüben.
Was genau ist die Rolle des Channel Managers?
Antonio Zullino: Die Rolle des Channel Managers begann administrativ und entwickelte sich schliesslich zu einer Rolle, welche die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche der Bank koordiniert. So ist ein Austausch mit interdisziplinären Teams entstanden. Wir nennen diese Teams «Value Streams», die agil arbeiten. Letztendlich ermöglicht uns diese ganzheitliche Übersicht über alle Aktivitäten, die den Inbound im Kundencenter beeinflussen, eine frühzeitige Einschätzung potenzieller Verdichtungen oder Risiken im Kundencenter für die kommenden Monate. Dies dient wiederum als Grundlage für die gezielte Umsetzung entsprechender Massnahmen. Auch die Kommunikation und Zusammenarbeit haben sich durch regelmässige Reviews und enge Einbindung aller Abteilungen stark verbessert.
Wie setzt sich ein solches interdisziplinäres «Value Stream» Team zusammen?
Antonio Zullino: Die Teams sind mit typischen Rollen wie Product Owner und Scrum Master besetzt. Im Schnitt bilden um die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein solches Team und entwickeln kontinuierlich neue Features. Stakeholder wie das Kundencenter können an den regelmässigen Reviews teilnehmen und sich aktiv einbringen.
Welche Veränderungen für den Kundenservice brachten all diese Massnahmen mit sich?
Antonio Zullino: Das Kundencenter ist nicht nur Support, sondern inzwischen auch Teil des Beratungsverkaufs. Neue Tools unterstützen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kundinnen und Kunden, aktiv auf Potenziale hinzuweisen. Die Rekrutierung neuer Kräfte legt grossen Wert auf diese Denkweise.
Wie war das Feedback der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf all diese Veränderungen im Kundencenter?
Antonio Zullino: Das Feedback war sehr positiv. Zum einen hat sich die Zusammenarbeit mit der gesamten Bank positiv verändert, und das Kundencenter wird häufig für Projekte und Themen hinzugezogen. Dies hat zu einer positiven Wahrnehmung des Kundencenters im gesamten Unternehmen geführt. Mitarbeiter schätzen die verbesserte Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen. Dies trägt dazu bei, dass das Kundencenter als integraler Bestandteil des Unternehmens betrachtet wird. Zum anderen wurde die Arbeit der Betreuerinnen und Betreuer auch durch neue Features und neue Aufgaben aufgewertet.
Wie misst die Migros Bank die Kundenzufriedenheit?
Antonio Zullino: Neben klassischen Werten wie Service Level und Abbruchquoten liegt der Fokus auf dem Net Promote Score. Aktive Ansprache und Kontaktaufnahme mit Kunden, die ein negatives Feedback gegeben haben, schaffen einen transparenten Kreislauf und ermöglichen wertvolle Gespräche. Dieser Einfluss zeigt sich ebenfalls im stationären Vertrieb, und die entsprechende Vorgehensweise wird dort von den jeweiligen Teammitgliedern ebenfalls angewendet.
Setzt die Migros Bank auch schon auf künstliche Intelligenz?
Antonio Zullino: Die Migros Bank ist noch in den Anfängen, wir nutzen aber bereits Voicebots für eine verbesserte Kundeninteraktion. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist rasant, und die Migros Bank strebt an, diese Technologien für ihre Kundinnen und Kunden zugänglich zu machen, wo immer sinnvoll.
Wie siehst Du die Rolle des Kundenservice in Zukunft?
Antonio Zullino: Wir stehen an einem Wendepunkt in der Branche und experimentieren mit spannenden Technologien wie Voicebots, ChatGPT und Künstlicher Intelligenz. Kundenbetreuer werden vermehrt in Gespräche eingreifen, um die Kunden besser zu bedienen, wenn der Bot beispielsweise nicht weiterweiss. Zudem werden die Aufgaben der Betreuerinnen und Betreuer noch breiter, wie beispielsweise das Trainieren von Bot-Modellen. Dennoch bleibt das eigentliche zentrale Thema, das all das, was wir machen, letztlich einen Einfluss auf Kundinnen und Kunden hat, deren Zufriedenheit wie auch deren Loyalität. Kundinnen und Kunden werden auch in Zukunft noch eine Begleitung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünschen, wenn auch vielleicht für andere Themen. Aber dafür muss auch weiterhin ein top aufgestellter Service erreichbar sein. Heisst, die zentrale Bedeutung des Kundenservice im Unternehmen und für den Unternehmenserfolg wird auch in Zukunft erhalten bleiben, wenn nicht gar wachsen.

Meike Tarabori
Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.