KI und Automatisierung verändern den Kundenservice grundlegend. Unternehmen wie Klarna zeigen, dass KI gestützte Chatbots Millionen Anfragen bearbeiten können. Doch viele Firmen scheitern an mangelnder Transparenz über Kontaktgründe und Prozesskosten. Erfolgreiche Automatisierung beginnt mit der Analyse von Kundenanfragen, der Vermeidung unnötiger Kontakte und der gezielten Integration von KI. Gleichzeitig müssen Unternehmen Mitarbeitende wertschätzen, da komplexere Anfragen menschliche Expertise erfordern. Eine hybride Strategie aus KI, Self-Service und qualifizierter Beratung sichert langfristigen Erfolg.
KI, Automation und Self Service sind omnipräsent. Aber ohne motivierte Mit- arbeitende und kunden- zentrierte Unternehmensführung bleibt der Erfolg auf der Strecke.
Ende Februar dieses Jahres gab der schwedische Zahlungsanbieter Klarna bekannt, seine AI gestützten Customer Service Bots mit der GPT Engine von OpenAI würden zwei Drittel aller Serviceanfragen erfolgreich lösen. Demnach hätte der KI-Assistent in einem Monat 2,3 Millionen Gespräche geführt und damit die gleiche Arbeit erledigt wie 700 Vollzeitmitarbeiter. Die Kundenzufriedenheit soll gleichgeblieben sein. Die Lösung sei präziser, was zu einem Rückgang der Wiederholungsanfragen um 25% führe. Aufgrund dieser Erfolge habe Klarna die Rekrutierung neuer Mitarbeitender gestoppt und reduziere den Personalbestand jährlich um 20%.
Betrachtet man die DACH-Region, hört man kaum euphorische Meldungen über den Einsatz von Generativer AI. Ziel dieses Artikels ist es daher, Erfolgsfaktoren zu identifizieren, die einen Einsatz der Technologie und die prozessualen und organisatorischen Veränderungen ermöglichen.
Organisatorische Klarheit über Ziele, Kosten und Mengengerüste
Die Bedeutung des Kunden-Service für die Kaufentscheidung wird nach wie vor unterschätzt. Unternehmen versuchen im Kundenservice Geld einzusparen, während man gleichzeitig hohe Beträge für Marktforschung ausgibt. Man zahlt viel dafür, von zufriedenen Kunden zu erfahren, was man verbessern könnte. Den Dialog mit Kunden, die konkrete Probleme haben, versucht man so kurz wie möglich zu halten. Das zeigt sich in unseren Beratungsprojekten der letzten fünf Jahre. Die meisten Unternehmen konnten nicht angeben, weswegen die Kunden anrufen, mailen oder chatten. Zwar existieren Kundenkontaktgrundlisten, diese sind jedoch oft älter als 10 Jahre, umfassen mehr als 30 Positionen, beziehen sich auf Produktkategorien und sind nicht aus der Perspektive des Kunden erfasst. Wir haben Serviceabteilungen angetroffen, in denen mehr als 50% der Kundenkontakte als «Allgemeines» oder «Sonstiges» erfasst wurde.
Es ist dem Management also nicht klar, weswegen Kunden das Unternehmen kontaktieren. Damit kann es nicht einschätzen, wie man Kontakte vermeidet, vereinfacht oder automatisiert. Man vergibt sich die Chance, Rückschlüsse auf Produkt-, Service- und Kommunikationsqualität zu ziehen, obwohl es hier präzisere Anhaltspunkte zur Leistungs-Optimierung gäbe als aus der Marktforschung.
Nach dem Redesign der Kundenkontaktgrund-Erhebung wäre die Zuordnung der Mengengerüste nötig. Wie viele Kontakte gibt es pro Kontaktgrund, wie lange ist die Bearbeitungsdauer pro Kontakt? Das ist mühsam. Hier liegt aber die Grundlage des Erfolgs, den Unternehmen wie Klarna und auch Amazon in der Automatisierung haben. Sie haben sich mit Kontaktgründen, Mengengerüsten und Bearbeitungskosten befasst. In Märkten, in denen immer noch grosse Margen erzielt werden oder in denen ein Anbieter Monopolist ist, hören wir immer wieder: «Also, das ist uns zu aufwendig.» Bequemlichkeit steht am Anfang vom Niedergang etablierter Unternehmen.
Zuordnung zur Value Irritant Matrix
Die Zuordnung der Kontaktgründe in die Value Irritant Matrix von Price und Jaffe ist der zweite nötige Schritt. Beim Einsortieren in die Quadranten Vermeiden, Vereinfachen, Automatisieren und Ausschöpfen/Lernen arbeiten wir grundsätzlich mit Teams, die sich dem strategischen und dem operativen Management, Projektleitern für Automatisierung, Teamleitenden im Contact Center und Mitarbeitern am Telefon, Mail und Chat sowie Sales- und IT-Mitarbeitenden zusammensetzen. Aspekte wie Cross- und UpSelling, Komplexität von Automatisierungs-Umsetzung oder auch rechtliche Vorbehalte gegen eine Vereinfachung werden so thematisiert. Nur so können alle Optimierungs-Aspekte der Value Irritant Matrix ausgeschöpft werden.
Sukzessive Etablierung des Target Operating Models
Je weniger Kontaktgründe es gibt und je grösser deren Mengengerüste sind, desto einfacher fällt die Automatisierung und die Vermeidung von Dialogen. Das erklärt den Erfolg von Klarna. Die Firma kennt die Kundenanfragen genau und kann mit den «grössten» Kontaktgründen in die Automatisierung durch Bots starten. Bei hochgradig standardisierten Unternehmen wie Klarna oder Amazon sind maximal zwei Prozent des gesamten Kontaktvolumens Fälle, aus denen das Unternehmen etwas lernen kann. Den Rest kann man vermeiden oder automatisieren.
Die meisten Firmen sind für ein solches TOM jedoch zu komplex. Hier spielen die Ressourcen der Mitarbeitenden eine Rolle. Diese sind meist gut im Kundendialogmanagement ausgebildet. Gleichzeitig werden Mitarbeitende knapp. So waren mehr als 110’000 Stellen Ende 2023 allein in der Schweiz unbesetzt. In diesem Kontext stellen die Mitarbeitenden im Kundenservice eine «strategische Reserve» des Unternehmens dar, müssen aber deutlich bessere Rahmenbedingungen vorfinden als heute. Die verbleibenden Kundendialoge werden anspruchsvoller. Wissensmanagement- und Enablement-Systeme helfen, die die Mitarbeitenden zur richtigen Zeit über den richtigen Touchpoint mit der richtigen Information versorgen. Zum anderen kann der Verkauf an der Schnittstelle im Contact Center gestärkt werden. Outbound Telefonie, Kaltakquise und Werbung sind wesentlich teurer als Inbound Sales bei einem «trusted advisor»
Umgang mit den Mitarbeitenden klären und stärken
Klarna ist anders. Sie erzielen ihre Deckungsbeiträge im B2B, Kundenservice fällt vor allem aber im B2C an. Es wird also beim Privatkundenservice eine vollständige Automatisierung oder Vermeidung angestrebt. Dementsprechend unzimperlich geht man mit den Mitarbeitenden um. Nur wer niemals wieder Mitarbeitende anziehen will, kann sich so verhalten.
Die meisten Unternehmen müssen beim Change auf Datenschutz, den AI-EU-Act oder weitere regulatorische Vorgaben achten oder sind durch Mitbestimmung beeinflusst. Es gibt aber Methoden, durch Automatisierung und Vermeidung überflüssiger Kontakte im Kundenservice Einsparungen zu erzielen und das Unternehmen zusammen mit den Mitarbeitenden wertschöpfend in die Zukunft zu führen. Ob Klarna in diesem Zusammenhang der richtige Leuchtturm ist, darf und muss bezweifelt werden. Wichtig ist, das Wissen über die Kundenkontaktgründe systematisch zu verbessern und die inzwischen sehr reife Technologie mutig für den Wandel zu nutzen.

Prof. Dr. Nils Hafner
Prof. Dr. Nils Hafner ist internationaler Experte für den Aufbau profitabler Kundenbeziehungen. Er ist Professor an der Hochschule Luzern und Alumnus des Marketingnetzwerks MTP. In seinem Blog «Hafner on CRM» versucht er dem Thema seine interessanten, spannenden, skurrilen und lustigen Seiten abzugewinnen. Ende 2017 erschien bei Haufe sein Amazon Nr. 1 Bestseller «Die Kunst der Kundenbeziehung». www.nilshafner.ch