Zwischen Daten und Dialog: Die Revolution des Retail mit KI

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Zwischen Daten und Dialog: Die Revolution des Retail mit KI | Jeff Warren, Vice President, Retail Global Sales bei OracleZwischen Daten und Dialog: Die Revolution des Retail mit KI | Jeff Warren, Vice President, Retail Global Sales bei Oracle
Zwischen Daten und Dialog: Die Revolution des Retail mit KI | Jeff Warren, Vice President, Retail Global Sales bei Oracle

Der Handel steht vor einem Strukturwandel: Grenzen zwischen Kanälen und Branchen verschwimmen, Kundinnen und Kunden erwarten die besten digitalen Erlebnisse – überall. KI wird zum Orchestrator zwischen Nachfrage und Angebot. Voraussetzung sind saubere Daten, verständliche Bedienung, prädiktive Modelle, generative Funktionen und agentische Systeme, die eigenständig auf Ziele hinarbeiten. Anwendungen reichen von automatisierter Content-Aufbereitung bis zur Preis- und Bestandssteuerung. Regionen setzen unterschiedliche Schwerpunkte – Erlebnis, Effizienz oder Skalierung –, doch gemeinsam ist der Weg zu dialogischen, kontextbasierten Einkäufen mit minimalen Zwischenschritten.

Interview geführt von Meike Tarabori anlässlich der Oracle AI World 2025 in Las Vegas:

Künstliche Intelligenz krempelt die Welt des Handels radikal um. Im Gespräch erklärt Jeff Warren, Vice President, Retail Global Sales bei Oracle, warum KI weit mehr ist als nur ein technischer Hype, wie sie den Alltag von Händlern und Konsumenten verändert und was europäische Retailer von asiatischen und amerikanischen Märkten lernen können. Von neuen Datenströmen über automatisierte Prozesse bis zu völlig neuen Einkaufserlebnissen.

Herr Warren, Sie arbeiten seit über 20 Jahren im Retail-Bereich. Was sind derzeit die größten Veränderungen, die Sie beobachten, insbesondere im Hinblick auf KI?

Jeff Warren: Der Handel war schon immer ein Sektor des Wandels, doch KI ist tatsächlich der nächste große Umbruch. Um zu verstehen, wie KI helfen kann, muss man die Herausforderungen der Branche sehen. Retail basiert im Kern auf einem simplen Prinzip: Nachfrage und Angebot. Doch heute stehen Händler zwischen zwei großen «Verbindungen»: der zum Kunden und der zur Lieferkette. Diese beiden Dimensionen müssen orchestriert werden, während gleichzeitig wirtschaftliche Unsicherheiten, Inflation, geopolitische Spannungen und schwache Konsumentenstimmung Druck auf die Branche ausüben.

Darüber hinaus erleben wir ein Phänomen, das ich als «Blending» bezeichne: Grenzen zwischen Branchen, Kanälen und Geschäftsmodellen verschwimmen. Kunden vergleichen das Einkaufserlebnis heute nicht mehr nur mit anderen Händlern, sondern mit den besten digitalen Erfahrungen überhaupt – sei es im Hotel, bei Streamingdiensten oder im Restaurant.

Wie verändern Daten und KI in diesem Kontext die Geschäftsmodelle im Retail?

In den letzten zwei Jahrzehnten ist das Datenvolumen im Handel explodiert. Früher war Wachstum einfach – mehr Filialen, mehr Sortiment. Heute entstehen unzählige Interaktionen über Kanäle und Plattformen, die eine gewaltige Menge an Informationen generieren. Klassische Retail-Prozesse waren nie dafür ausgelegt, diese Datenmassen auszuwerten.

Hier kommt KI ins Spiel. Sie hilft, aus der Datenflut die relevanten «Goldnuggets» herauszufiltern und diese Informationen in Echtzeit zwischen Kundenerlebnis und Lieferkette zurückzuspielen. Das erfordert fünf aufeinander aufbauende Ebenen: eine saubere Datenbasis, eine intuitive Benutzeroberfläche mit «Human in the Loop», prädiktive Modelle, generative KI und schließlich agentische KI, sprich Systeme, die selbstständig auf Ziele hinarbeiten und Prozesse steuern können.

Können Sie ein praktisches Beispiel nennen, wie KI bereits eingesetzt wird?

Viele Händler nutzen generative KI etwa zur Inhalts- oder Bildanalyse. Ein Kunde hat 190 Terabyte an Produktfotos über Jahrzehnte gesammelt. Statt ein Team manuell Metadaten erfassen zu lassen, analysiert ein KI-System automatisch jedes Bild nach Attributen und bereitet die Daten für moderne Plattformen auf.

Agentische KI geht noch weiter: Sie erlaubt, Zielvorgaben wie «Reduziere das Rabattsystem bei gleichbleibender Marge» zu setzen. Die KI findet dann Wege, diese Ziele automatisiert umzusetzen, und das über Abteilungen hinweg, vom Einkauf bis zum Marketing.

Wie unterscheidet sich die Entwicklung in verschiedenen Märkten, etwa in Asien, Europa und den USA?

Die Unterschiede sind tatsächlich sehr deutlich zu spüren. Wenn wir uns den asiatischen Markt anschauen, dann ist der in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter – insbesondere, was die Geschwindigkeit und Offenheit betrifft, mit der neue Technologien integriert werden. Viele asiatische Händler sind schlicht nicht durch jahrzehntealte Systeme und Prozesse blockiert. In Europa oder den USA hört man oft: «So haben wir es schon immer gemacht». Diese mentale Barriere existiert in Asien kaum. Händler dort sind bereit, Dinge einfach auszuprobieren – auch wenn sie nicht perfekt sind – und dadurch Innovation schneller in Betrieb zu bringen. Es gibt also weniger Angst vor Fehlern und mehr Experimentierfreude. Dazu kommt, dass die Infrastruktur in vielen asiatischen Märkten hoch digitalisiert ist, was KI-Projekte begünstigt. Die Integration neuer Tools in bestehende Abläufe ist technisch schlicht einfacher, und durch die starke Smartphone-Nutzung bekommt man direkt Feedback vom Endkunden. Das führt dazu, dass asiatische Händler beim Thema Kundenerlebnis und Engagement meist ganz vorne liegen.

In Europa sieht es anders aus. Der Markt hier ist extrem kompetitiv, man könnte sagen, «hart verdichtet». Wer im europäischen Retail überlebt, muss unglaublich effizient und datenbasiert arbeiten. Diese Notwendigkeit hat dazu geführt, dass europäische Händler in Sachen Prozessoptimierung und operative Exzellenz Vorreiter sind. Sie denken sehr strukturiert, planen langfristig und achten auf Skalierbarkeit. Das führt oft zu ausgereiften, schlanken und präzisen Strukturen, die andere Regionen gern übernehmen.

Die USA dagegen profitieren von ihren geografischen und wirtschaftlichen Bedingungen. Das Land ist groß, die Händlerlandschaft divers. Deshalb können US-Retailer Innovationen oft in Teilmärkten oder Regionen testen, bevor sie diese landesweit ausrollen. Außerdem beobachten amerikanische Unternehmen sehr genau, was in Europa passiert, insbesondere im Lebensmittelhandel, wo europäische Modelle als effizienter gelten.

So entstehen spannende Wechselwirkungen: Asien führt technologisch, Europa führt prozessbezogen, und die USA verbinden beide Ansätze mit ihrer Skalierungskraft.

Wird KI in alle den Märkten gleich eingesetzt?

Die Schwerpunkte unterscheiden sich deutlich und das hängt eng mit den jeweiligen Marktgegebenheiten und Regularien zusammen. In Europa steht gerade klar die Kundeninteraktion im Vordergrund. Das heißt, KI wird vor allem für den digitalen Dialog und das Kauferlebnis eingesetzt. Händler nutzen digitale Assistenten, um etwa personalisierte Produktempfehlungen zu liefern, oder setzen generative KI ein, um Content zu erstellen und das Einkaufserlebnis emotionaler zu gestalten. Allerdings gibt es in Europa eine Reihe von Hürden, vor allem im Bereich Datenschutz und Datenprovenienz. Das Thema Governance ist groß, und die EU-weiten Regelungen, etwa zur Löschung von Daten oder zur Nachweisführung, machen KI-Projekte zum Teil komplexer.

In Asien dagegen erleben wir KI in einer sehr erlebnisorientierten Form. Dort liegt der Fokus viel stärker auf direkter Kundenbindung, etwa durch Social Commerce, Live-Shopping-Integration oder durchgängig vernetzte Plattformen. Händler nutzen KI, um die Interaktion dynamischer zu machen. Es geht weniger um Perfektion, mehr um Geschwindigkeit, Personalisierung und Emotion.

In den USA wiederum verfolgen viele Unternehmen eine strategisch-operative Perspektive. Sie setzen KI stark zur Verknüpfung von Kundendaten mit Lieferkette und Inventar ein, um Effizienzsteigerungen zu erzielen. Der Einsatz ist dort häufig von Business Cases getrieben, von Lageroptimierung bis zur Preisgestaltung. Gleichzeitig investieren US-Unternehmen stark in agentische KI-Systeme, die bereichsübergreifende Prozesse steuern, also etwa Marketing, Einkauf und Filialbetrieb zusammenbringen.

Kurz gesagt: In Asien dominiert der Innovationsdrang, in Europa die Struktur, und in den USA die Skalierbarkeit. Doch überall gilt: KI ist längst kein Zukunftsthema mehr, sondern bereits zentraler Bestandteil der Wertschöpfung.

Wohin führt die Reise? Werden wir bald vollautomatisierte Transaktionen zwischen KI-Agenten erleben?

Ich denke, ja. Aber das ist ein Prozess in mehreren Stufen. Momentan befinden wir uns in der Phase der Augmentation, also der intelligenten Unterstützung des Menschen durch KI. Systeme helfen beim Entscheiden, Analysieren oder Personalisieren von Angeboten. Der Mensch bleibt aber noch aktiv eingebunden.

Der nächste Schritt ist die Automation, bei der KI-Agenten selbstständig agieren. Das bedeutet, dass bald auf beiden Seiten – auf der Konsumenten- wie auch auf der Händlerseite – intelligente Systeme miteinander interagieren werden, ohne dass ein Mensch aktiv eingreifen muss. Ein anschauliches Beispiel ist der Lebensmittelhandel: Ein vernetzter Kühlschrank könnte merken, dass Produkte zur Neige gehen, und automatisch eine Bestellung beim Handelsagenten auslösen. Diese Agenten handeln im Hintergrund Preis, Verfügbarkeit und Lieferung aus und der Einkauf läuft vollständig automatisiert ab.

Das klingt futuristisch, ist aber näher, als viele denken. Erste Anwendungen in dieser Richtung existieren bereits, etwa in der Abo-Logistik oder bei standardisierten Nachbestellungen. Wir stehen also an der Schwelle zu einer neuen Phase, in der Maschinen nicht nur unterstützen, sondern unter klar definierten Rahmenbedingungen eigenständig handeln.

Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf das Kundenverhalten?

Man sieht sehr deutlich, dass sich das Einkaufsverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten gerade grundlegend verändert. Der klassische Suchprozess, also das Eintippen eines Begriffs und das Durchscrollen von Ergebnislisten, verliert an Bedeutung. Stattdessen interagieren Kundinnen und Kunden zunehmend direkt mit intelligenten Systemen. Sie sagen einfach, was sie brauchen, und die KI präsentiert passende Optionen – kontextbezogen, personalisiert und ohne Umwege.

Das beobachten wir heute schon auf Social Commerce-Plattformen wie TikTok oder Instagram, wo Produkte aus einem Livestream mit einem Klick oder sogar automatisch identifiziert und zum Kauf angeboten werden. Dieses Zusammenspiel aus Kontext und Datenintelligenz hat zur Folge, dass der Kaufakt selbst in den Hintergrund rückt. Kunden wollen nicht mehr suchen, vergleichen oder filtern, sie erwarten, dass ihnen das System das Richtige vorschlägt. Das verändert ihr Verhalten komplett: weniger Scrollen, weniger Klicks, dafür mehr intuitive Interaktion.

Für Händler bedeutet das eine Verschiebung vom linearen Kaufprozess hin zu einem kontextbasierten, dialogorientierten Einkaufserlebnis mit weniger Reibung, mehr Geschwindigkeit und einer viel höheren Erwartungshaltung an Relevanz und Timing.

Abschließend: Was raten Sie Retailern, die jetzt in KI investieren wollen?

Fangen Sie mit klaren, datenbasierten Use Cases an, die echten Mehrwert liefern, etwa bei der Personalisierung oder der Sortimentsplanung. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Datenbasis solide, verbunden und rechtskonform ist. Ohne saubere Daten ist keine intelligente Automatisierung möglich.

Dann geht es Schritt für Schritt: Vorhersage, Generierung, Automatisierung. Dabei bleibt der Mensch im Mittelpunkt, aber in einer neuen Rolle: als Gestalter und Kontrolleur des Systems.

Oracle

Oracle (NYSE: ORCL) bietet integrierte Anwendungssuiten und eine sichere autonome Infrastruktur über Oracle Cloud.

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