Der notorische KI-Hype seitens der gesamten Software-Industrie hilft wenig gegen wachsende Ängste und Skepsis in weiten Teilen der Bevölkerung. Diese sind verständlich – und überhaupt nicht unbegründet. Dass innerhalb der gespaltenen KI-Szene gegenwärtig die bodenständigen Konnektionisten Aufwind haben, stimmt aber zuversichtlich.
Kürzlich führte ich ein Skype-Telefonat mit meinem Vater. Und ich hatte eine Art Erleuchtung. Weshalb? Ich erwähnte kurz, dass ich Artikel zum Thema «Künstliche Intelligenz» schreibe. Er prustete los und sagte wörtlich: «Künstliche Intelligenz? Das ist ja der allergrösste Blödsinn!» Na ja. Er störte sich sicher am Wort «Intelligenz» – oder auch am ganzen Ausdruck. Er ist immerhin schon 95 Jahre alt, seit 30 Lenzen weg vom Arbeitsleben – und er war nie ein Freund des Computers, weil er immer die Ansicht vertrat, die IT würde bloss Arbeitsplätze kosten. Ich versuchte ihm dann zu erklären, dass er nicht wirklich Angst vor der KI haben müsse. Aber er hatte sich ja seine Meinung schon gebildet. Weshalb also meine Erleuchtung? Ganz einfach: Mir wurde schlagartig klar, wie viele Leute richtig Angst vor dieser weiteren Drehung der IT-Schraube haben – nicht nur 95-jährige Skeptiker.
Was denken eigentlich die KI-Macher?
Nun ist es beim derzeitigen Stand der Dinge tatsächlich so, dass nicht nur viele Leute Zukunftsängste haben und deshalb so etwas wie die KI und die «angedrohte» Totalrevision des Wirtschaftslebens mittels noch mehr Digitalisierung plus «Industrie 4.0» nicht allzu sehr goutieren. Es ist auch so, dass diese Reaktionen angesichts der allgegenwärtigen diesbezüglichen Berichterstattung in Tages- und Wochenmedien vollkommen verständlich sind. Und es ist auch so, dass sogar – oder erst recht – innerhalb der gespaltenen und zersplitterten KI-«Szene» selbst überhaupt nicht klar ist, was als KI durchgehen kann und was nicht.
Tatsache ist, dass in Werbung, PR und Marketing mit KI hausiert wird auf Teufel komm raus. Und das bereits seit vier, fünf Jahren. Genauer gesagt: Seit alle Software-Anbieter, egal in welchem spezifischen Feld, gemerkt haben, dass sie die Floskel mindestens drei Mal in jeder Mitteilung verwenden müssen, weil das die Konkurrenz auch tut. Angesichts einer derart überbordenden KI-Inflation sollte sich eigentlich schon längst die Frage aufgedrängt haben: «Was ist das eigentlich? Und was nicht?»
Die Antwort ist sehr einfach: Es kursieren und flottieren wie erwähnt innerhalb der KI-(Nicht)-Community selbst stark divergierende Vorstellungen und Definitionen. Die Szene besteht grob gesagt aus den Stammesgruppierungen Konnektionisten, Symboliker, Bayesianer, Analogisten und Genetiker. Und wie das zwischen Stämmen so ist, lautet das gemeinsame Motto: «Jeder für sich und alle gegen alle!» Das gilt gegenwärtig in erster Linie für die beiden einflussreichsten Stämme, die Konnektionisten und die Symboliker. Letztere hatten in den romantischen Frühjahren der KI in den 70er-Jahren die Oberhand und prägen auch heute noch den Diskurs in den Medien und folglich in der KI-Wahrnehmung vieler Zeitgenossen. Die Konnektionisten dagegen pflegen einen pragmatischeren und bescheideneren Begriff von KI – aber ihr Pech ist ein zweifaches. Sie müssen «KI» sagen, weil das nun mal en vogue ist. Und dies, obwohl sie einen anderen Begriff von Intelligenz haben als die Symboliker – die mit ihrer Intelligenz-Vorstellung wiederum die Hölle- und Paradies-Versionen in den Medien befördern.
Gefragt ist Software Engineering 2.0
Grob gesagt handelt es sich bei diesem Stammeskonflikt um Rangeleien über Algorithmen und Meta-Algorithmen, um Software und Software 2.0 und – ganz entscheidend – um Software Engineering und Software Engineering 2.0. Fakt ist, dass das meiste, was kommerzielle Software-Anbieter derzeit mit dem Label «KI» bewerben, auf dem eher bodenständigen konnektionistischen Paradigma basiert. Machine Learning und Deep Learning sind hier die Stichworte. Fakt zwei ist aber, dass sowohl der bescheidenere «Intelligenz»-Begriff der Konnektionisten als auch der ziemlich hochgegriffene der Symbolisten einer Kontrollinstanz bedürfen – eben eines von Menschen konzipierten und kontrollierbaren Software Engineering 2.0.