Bei Brändi steht Digitalisierung nicht nur für Effizienz, sondern für echte Inklusion. Im Interview erklärt Dr. Andreas Liedtke, wie digitale Lösungen entstehen, die sowohl Fachpersonal als auch Menschen mit Beeinträchtigung einbeziehen. Statt technikgetriebener Ansätze verfolgt Brändi eine konsequent serviceorientierte Strategie. Vom KI-gestützten Wissensmanagement über barrierefreies Intranet bis zur Förderung digitaler Kompetenzen – alles zielt auf Teilhabe. Herausforderungen wie heterogene Nutzergruppen oder Datenschutz meistert Brändi mit praxisnaher Umsetzung und Innovationsgeist.
Bei Brändi, eine der grössten sozialwirtschaftlichen Institutionen der Schweiz, ist Digitalisierung weit mehr als Technik: Sie soll echte Inklusion ermöglichen. Dr. Andreas Liedtke, Leiter Transformation, Digitalisierung und ICT, erklärt im Interview, wie Brändi digitale Lösungen entwickelt, die sowohl Mitarbeitende als auch Menschen mit Beeinträchtigung einbeziehen – und so neue Massstäbe für das Schweizer Sozialwesen setzt.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Eurer aktuellen Strategie und wie beeinflusst sie die tägliche Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung?
Dr. Andreas Liedtke: Digitalisierung ist ein zentraler Bestandteil unserer Strategie und betrifft bei uns alle Bereiche – von der Verwaltung über die Produktion bis zum Wohnen. Bereits bei meinem Start bei Brändi im Jahr 2022 war klar, dass Digitalisierung als strategischer Erfolgsfaktor zu begreifen ist, weshalb wir eine eigene Fachstelle für Digitalisierung aufgebaut haben, die das Thema bereichsübergreifend vorantreibt.
Unser Anspruch ist, dass digitale Lösungen nicht nur Prozesse effizienter machen, sondern auch, wo möglich inklusiv sind und immer mit Blick auf die Vielfalt unserer Organisation. Das heisst, sie müssen für Fachpersonal genauso wie für unsere Klientinnen und Klienten zugänglich sein. Wir orientieren uns dabei an einer Service-Strategie: Jede digitale Massnahme wird daraufhin geprüft, welchen konkreten Nutzen und Mehrwert sie für unsere verschiedenen Nutzergruppen bringt. Erst danach entscheiden wir, wie wir diese technisch umsetzen.
Wie setzt Ihr diese Service-Strategie konkret um und wie unterscheidet sich dieser Ansatz von einer klassischen Digitalisierungsstrategie?
Dr. Andreas Liedtke: Im Unterschied zu einer rein technologiegetriebenen Strategie, bei der oft zuerst die Tools oder Plattformen festgelegt werden, steht bei uns der Servicegedanke im Mittelpunkt. Dies bedeutet: Wir analysieren zuerst die Bedürfnisse und Herausforderungen unserer Nutzergruppen – seien es Mitarbeitende, Klientinnen und Klienten oder externe Partner. Daraus leiten wir ab, welchen Service wir bieten wollen. Erst dann wählen wir die passende technische Lösung. So stellen wir sicher, dass Technologie immer dem tatsächlichen Bedarf dient und nicht umgekehrt.
Dieser Ansatz hilft uns, die Digitalisierung gezielt an den tatsächlichen Anforderungen auszurichten und nicht an technischen Trends. Gerade bei unserer Vielfalt an Arbeitsbereichen und Anspruchsgruppen sorgt dieses Vorgehen dafür, dass digitale Lösungen wirklich inklusiv, praxistauglich und nutzerfreundlich sind – und nicht an den Menschen vorbeigehen. Das erhöht die Akzeptanz und sorgt für nachhaltigen Nutzen.
Wie stellt Ihr sicher, dass digitale Prozesse und Transformationsprojekte inklusiv gestaltet sind?
Dr. Andreas Liedtke: Wir haben fünf strategische Stossrichtungen definiert, eine davon ist explizit die Inklusion. Das bedeutet, wir prüfen, welche Gruppen davon profitieren und wie wir möglichst viele einbeziehen können. Dazu arbeiten wir mit Fokusgruppen und Arbeitsgruppen aus verschiedenen Bereichen. Ein Beispiel ist unser neues Intranet: Es wurde so konzipiert, dass es für Menschen mit Beeinträchtigung, die beispielsweise keinen «klassischen Brändi-Account» haben, genauso zugänglich sein soll wie für das Fachpersonal.
Welche Herausforderungen begegnen Euch bei der Umsetzung dieser Service-Strategie?
Dr. Andreas Liedtke: Eine der grössten Herausforderungen ist tatsächlich die Vielfalt unserer Bereiche und Anspruchsgruppen. Wir müssen digitale Lösungen entwickeln, die in einer Schreinerei genauso funktionieren wie in einer Wohngruppe. Das erfordert ein hohes Mass an Flexibilität und ein tiefes Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse. Hinzu kommt, dass viele unserer Mitarbeitenden ebenso wie Klientinnen und Klienten unterschiedliche digitale Kompetenzen mitbringen.
Neben den menschlichen Herausforderungen ist sicher auch die IT-Infrastruktur eine grosse Aufgabe. Mit welchen Schwierigkeiten seid Ihr konfrontiert?
Dr. Andreas Liedtke: Unsere IT-Struktur ist über viele Jahre gewachsen. Besonders wichtig ist für uns der Schutz sensibler Daten, da wir mit vielen besonders schützenswerten Informationen arbeiten. Beim Thema Cloud – also der Nutzung von IT-Ressourcen wie Speicher oder Software über das Internet statt auf eigenen Servern – setzen wir auf eine hybride Lösung: Wir nutzen sowohl eine private, besonders geschützte Cloud als auch öffentliche Cloud-Dienste wie Microsoft Azure. So können wir flexibel moderne Technologien einsetzen und gleichzeitig höchste Sicherheitsstandards gewährleisten.
Die Herausforderung liegt darin, genau zu prüfen, welche Daten und Anwendungen in die Cloud ausgelagert werden dürfen und wie wir Datenschutz und Zugriffsrechte optimal steuern. Ziel ist es immer, Innovation und Sicherheit in Einklang zu bringen.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in Eurer digitalen Transformation?
Dr. Andreas Liedtke: KI ist für uns ein Werkzeug, welches wir gezielt dort einsetzen, wo es echten Mehrwert bringt. Seit Sommer 2024 haben wir eine eigene KI-Plattform mit verschiedenen Funktionalitäten, darunter ein Large Language Model, semantische Suche und Indexierung. Erste Anwendungsfälle sind das Wissensmanagement. Mitarbeitende finden Regelungen und Prozessbeschreibungen KI-gestützt sowie auch das IT-Service-Management, wo KI in tausenden abgeschlossenen Tickets nach Lösungen sucht. Auch im Bereich der Betreuungsdokumentation unterstützt KI das Personal, indem sie bei der Formulierung von Journal-Einträgen hilft. Ziel ist es, administrative Aufgaben zu erleichtern, damit mehr Zeit für die eigentliche Betreuung bleibt.
Wie fördert Ihr Akzeptanz und Aufbau digitaler Kompetenzen bei Mitarbeitenden sowie bei Klientinnen und Klienten?
Dr. Andreas Liedtke: Wir orientieren uns am DigComp-Modell der Europäischen Kommission. Zunächst haben wir mit einem Self-Assessment den Stand der digitalen Fähigkeiten bei unseren Mitarbeitenden erhoben. Darauf aufbauend bieten wir Trainings, E-Learnings, Webinare und eigene Videos an, die spezifisch auf unsere Tools und Prozesse zugeschnitten sind. Besonders wichtig ist uns, dass Trainings praxisnah sind. Bei der Einführung neuer Tools haben wir teils auch schon auf Multiplikatoren und sogenannte «Ambassadors» gesetzt, die Kolleginnen und Kollegen direkt unterstützen. Das schafft Vertrauen und erleichtert die Einführung neuer Technologien.
Kannst Du konkrete Beispiele für aktuelle Digitalisierungsprojekte nennen?
Dr. Andreas Liedtke: Ein zentrales Projekt ist unser KI-gestütztes Wissensmanagement: Alle relevanten Dokumente und Regelungen werden in einer zentralen Knowledge Base gebündelt, die per KI durchsucht werden kann. So finden Mitarbeitende schnell die benötigten Informationen. Im Bereich der Betreuungsdokumentation unterstützt die KI das Personal bei der Formulierung von Journal-Einträgen nach agogischen Grundsätzen. Das spart Zeit und sorgt für konsistente, wertschätzende Dokumentation. Die KI läuft dabei in einer geschützten Umgebung, um Datenschutz und Datensicherheit zu gewährleisten. Rückmeldungen aus der Belegschaft sind überwiegend positiv: Viele schätzen die Entlastung, einige benötigen noch Unterstützung im Umgang mit den neuen Tools.
Was ist Dein persönlicher Tipp für andere Transformations- oder ICT-Leiter, die ähnliche Projekte starten möchten?
Dr. Andreas Liedtke: Mein Tipp ist: Starten Sie mit einer Anwendung, die für viele Mitarbeitende einen direkten und spürbaren Nutzen bringt. Das senkt die Einstiegshürden und fördert die Akzeptanz. Wenn Mitarbeitende erleben, dass ihnen digitale Tools wirklich helfen, entsteht eine positive Dynamik und Offenheit. Begleiten Sie die Einführung eng, bieten Sie Unterstützung an und holen Sie Feedback ein. So schaffen Sie die Basis für nachhaltigen Erfolg in der digitalen Transformation.
Wie siehst Du die Rolle von Brändi in der digitalen Transformation des Schweizer Sozialwesens?
Dr. Andreas Liedtke: Unsere Vision lautet «Alles für die Inklusion». Technologien und KI sollen uns dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen. Aufgrund unserer Grösse können wir neue Wege erproben und vorangehen. Wir möchten Impulsgeber für die Branche sein und zeigen, dass Digitalisierung und Inklusion kein Widerspruch sind. Unser Anspruch ist es, die digitale Transformation im Sozialwesen aktiv mitzugestalten und die Teilhabe aller Menschen zu fördern.
Hören Sie den gesamten Podcast mit Dr. Andreas Liedtke.
Meike Tarabori
Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.
