Der Einsatz von KI spaltet Unternehmen: Zwischen Angst vor Arbeitsplatzverlust und Chancen auf Effizienzsteigerung zeigt sich ein realistischer Mittelweg. Besonders im Kundenservice und in technischen Berufen verändert KI nicht nur Aufgaben, sondern ganze Strukturen. Kleine Teams steuern künftig KI-Agenten, entwickeln Lösungen und übernehmen kreative Verantwortung. Die Zukunft liegt in hybriden Arbeitsmodellen, die Mensch und Maschine verbinden – nicht im reinen Ersatz. So entsteht Produktivität ohne Bürokratie.
Beim Einsatz von KI gibt es derzeit zwei Lager, was die möglichen Auswirkungen auf Unternehmen und deren Personaleinsatz angeht. Besonders personalintensive Bereiche bei Serviceunternehmen stehen unter hohem Kostendruck und könnten mit KI-Lösungen viel Personal einsparen, sagen die einen. Das Gegenargument: Wo immer es Kontakt zu Menschen gibt, kann dieser nicht durch Maschinen ersetzt werden. Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte. Denn tatsächlich kann KI Arbeiten, zum Beispiel im Kundencenter, übernehmen, die bisher von Menschen ausgeführt wurden. Auf der anderen Seite stößt sie oft an Grenzen, wenn es komplexer wird oder Konversationen besonders lange andauern.
Während Firmen wie Klarna, die zunächst voll auf KI setzten, jetzt wieder zurückrudern, haben andere längst noch nicht das Potenzial von LLMs und Agenten ausgeschöpft. Es scheint sich ein Trend abzuzeichnen, der beim KI-Einsatz die Realitäten abbildet: Aus großen Teams werden kleine – die Aufgaben werden zwischen Menschen und Maschinen geteilt.
Das Unternehmen Fiverr, einer der Stars am Start-up-Himmel, das Jobs für Freiberufler vermittelt, hat vor Kurzem angekündigt, 250 Mitarbeiter entlassen zu müssen. Das sind keine Sachbearbeiter, sondern hoch qualifizierte Entwickler. Der Grund: Auf der Plattform wurde es zunehmend ruhiger – immer weniger Unternehmen suchten jemanden, der ihnen bei der Entwicklung von Software oder Webseiten hilft. Sie haben offensichtlich herausgefunden, dass KI einen Großteil der Aufgaben für weitaus weniger Geld übernehmen kann.
Berufsanfänger besonders betroffen
Auch Callcenter erleben das, vor allem bei neuen Mitarbeitern. Wer gerade erst ein Training erhalten hat, besitzt kaum mehr Wissen als ein Bot, der mit Tausenden Gesprächen und Fachliteratur trainiert wurde. Im Bereich der Berufsanfänger stellen ChatGPT und Co. die größte Gefahr für Arbeitsplätze dar. Das kann in Zukunft gefährlich werden, denn wie sollen Mitarbeiter Erfahrung sammeln, wenn Bots den Job machen?
Doch noch beantworten die meisten KI-Avatare Standardanfragen und leiten komplizierte Angelegenheiten weiter. Menschliche Alternativen werden im EU-Raum sogar gesetzlich vorgeschrieben. Die Herausforderung für Unternehmen im Kundenservice besteht nicht so sehr darin, welche Jobs gestrichen werden können, sondern wie sich die Arbeit der bestehenden Angestellten verändert. Und hier kommen die kleinen Teams ins Spiel.
Beispiel «Vibe Coding»: Neue Kompetenzen gefordert
Der Business Insider sieht gar die Ära der kleinen Teams kommen. Bei Start-ups zeigt sich bereits, dass weniger mehr sein kann: Statt Dutzende Entwickler zu beschäftigen, arbeitet eine Handvoll Top-Ingenieure an Konzepten und steuert KI-Agenten, die das Programmieren übernommen haben. Die Menschen überwachen, greifen ein und sorgen für die kreativen Inputs.
Beim Business Insider wurden Start-ups befragt, die zehn oder weniger Mitarbeiter haben, wie sich die Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten verändert haben. Für Quentin Peccoux, der bislang vor allem im Bereich SEO gearbeitet hat, hat sich die Welt verändert. Er ist jetzt mit «Vibe Coding» beschäftigt: Dabei werden Eingaben in natürlicher Sprache von der KI in Code und Software übersetzt. Er nennt den KI-Assistenten im Gespräch mit dem Business Insider eine «Superpower». Allerdings schränkt er ein, dass man dennoch ein Grundverständnis von Code haben muss, weil die KI immer noch Fehler macht.
Dennoch ist er überzeugt, dass die Zukunft von Teams in der Kreativität liegt – nicht in den sogenannten Hard Skills. Das bedeutet für den Kundenservice, dass zunehmend auch Mitarbeiter, die sonst an vorderster Front standen, an der Überwachung der KI teilhaben und zu Senior Consultants aufrücken. Solche kleinen Teams von Mitarbeitern, die hunderte Agenten steuern können, sind in der Regel agiler und engagierter – wenn das Unternehmen es zulässt.
Ihre Aufgabe wird es nicht mehr nur sein, komplexe Anfragen zu lösen. Sie werden neue Agenten schaffen, bestehende verändern und Tests durchführen, die dann mit anderen Teams geteilt werden können. Der Vorteil: Diese kleinen Teams haben größere Verantwortung, aber auch mehr Einsicht in die Abläufe und einen besseren Überblick.
Keine Meetings, keine Bürokratie
«Da ich nun einen besseren Überblick über den Workflow habe, hat der Einsatz von KI-Tools meine Produktivität drastisch gesteigert. KI-Tools können die Arbeit von zwei oder drei Ingenieuren übernehmen, indem sie bei der Recherche, Programmierung und Überprüfung helfen», sagt Entwickler Peccoux.
Abgas Lakra, die mit ihrer Firma in den USA eine Sprachsoftware entwickelt, hat gerade einmal fünf Angestellte. «Der Vorteil eines kleinen Teams besteht darin, dass wir keine Bürokratie, keine Prozesse um der Prozesse willen und keine Meetings um der Meetings willen haben. Dank KI konnten wir die Arbeit in Tagen erledigen, die sonst Wochen gedauert hätte», sagt sie. Sie ist der Meinung, dass es nicht mehr wie früher 100 Mitarbeiter braucht, um zehn Millionen Dollar Umsatz zu machen – zehn würden ausreichen.
Dieser Trend zu kleinen Teams, die KI-Agenten steuern, dürfte sich auch im Kundencenter bald etablieren. Unternehmen sollten schon jetzt prüfen, welche Mitarbeiter technikaffin sind und künftig an der Entwicklung und Verbesserung von KI-Agenten beteiligt sein können. Die KI wird – das dürfte unbestritten sein – viele Arbeitsplätze kosten, gerade wenn es um Aufgaben geht, die keinen hohen kreativen Anspruch haben und wiederholbar sind.
Leer wird es im Kundencenter aber nicht. Statt an Einzelplätzen, die mit Stellwänden voneinander getrennt sind, wird in Zukunft an einem oder zwei langen Tischen gemeinsam an Problemlösungen gearbeitet. Wenn dort Angestellte sitzen, die bislang am Telefon gearbeitet haben und damit Kenntnis der tatsächlichen Abläufe und Konversationen mitbringen, dürfte es sehr wahrscheinlich sein, dass sich die Produktivität im Kundencenter – wie auch in anderen Branchen – deutlich verbessern lässt – ohne dass es einen Kahlschlag in der Belegschaft gibt.

Thomas Wanhoff
Thomas Wanhoff, Jahrgang 1966, ist ein deutscher Journalist und Autor. Er arbeitete bei Zeitungen wie der “Frankfurter Neuen Presse”, war Produktentwickler bei der “Welt” und schreibt für die Nachrichtenplattform t-online. Außerdem betätigt er sich als freier Autor, mit Schwerpunkten auf CRM und Personalentwicklung. Wanhoff lebt seit 2007 in Südostasien.