Tech-Investitionen treiben CX-Wandel

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Tech-Investitionen treiben CX-Wandel

Technologie und Daten gelten als Treiber der digitalen Transformation – doch sie allein garantieren noch kein herausragendes Kundenerlebnis. Im Gespräch erklärt Forrester-Analyst Rusty Warner, warum der Mensch stets im Mittelpunkt jeder CX-Initiative stehen muss. Er zeigt auf, wie Unternehmen technologische Investitionen strategisch mit Kundenbedürfnissen verknüpfen, Silos aufbrechen und die Rolle von KI neu denken sollten. Denn erst wenn Technologie, Prozesse und Mitarbeiter in einem integrierten Ökosystem zusammenwirken, entsteht wirkliche Kundenzentrierung.

Technologie und Daten gelten als Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Doch reicht ein Fokus auf digitale Tools und Tech-Investment wirklich aus, um Kunden nachhaltig zu begeistern? Rusty Warner, VP, Principal Analyst bei Forrester, räumt im Gespräch mit gängigen Missverständnissen auf: Technologie ist zwar ein unverzichtbarer Enabler, doch der eigentliche Wandel beginnt beim Menschen. Darüber hinaus spricht Warner über Herausforderungen und Chancen moderner Technologieinvestitionen.

Viele Unternehmen investieren massiv in Technologie und Daten, um kundenzentrierter zu werden. Reicht dieser Fokus auf Technik und Daten wirklich aus, um Kundenzentrierung zu erreichen?

Rusty Warner: Das ist tatsächlich nur ein Teil der Gleichung. Technologie ist ein wichtiger Enabler, ist der Motor, der vieles antreibt, aber sitzt nicht am Steuer. Die Suche nach der passenden Technologie sollte daher stets mit dem Kundenergebnis beginnen: Was möchte der Kunde erreichen? Erst danach überlegen, welche Geschäftsaktivitäten dieses Ergebnis unterstützen und welche Fähigkeiten – das können Menschen, Prozesse oder eben Technologie sein – dafür erforderlich sind. Die Technologie bildet zwar das Fundament, aber sie darf nie der Ausgangspunkt sein. Nur wenn diese Reihenfolge eingehalten wird, verlieren Unternehmen das menschliche Element nicht aus dem Blick.

Wie stellen Unternehmen sicher, dass bei der Entwicklung von Kundenerlebnissen das Menschliche nicht verloren geht?

Rusty Warner: Das ist eine ständige Herausforderung. Menschen lassen sich oft von neuen, glänzenden Technologien begeistern – sei es Marketing-Automatisierung, sei es aktuell KI. Unternehmen fügen dann schnell neue Tools hinzu, um bestimmte Probleme zu lösen, vergessen dabei aber, dass am Anfang immer der Mensch steht. Unser Ansatz bei Forrester ist daher, bei jedem Technologieprojekt mit den Personas zu starten: Wer sind unsere Kunden, welche unterschiedlichen Ziele verfolgen sie? Wir betrachten ihre Reise aus Kundensicht – also von aussen nach innen – und analysieren dann, wie die internen Workflows der Marke mit dieser Customer Journey zusammenpassen. Das Ziel ist, dass Markenerlebnis und Kundenerlebnis wirklich übereinstimmen. In der Praxis ist das komplex, denn Brand Experience und Customer Experience durchdringen den gesamten Kundenlebenszyklus. Sie lassen sich nicht einfach in Akquise und Bindung aufteilen – beide sind immer relevant.

Was sind aus Deiner Sicht die grössten Herausforderungen, wenn Unternehmen ihre Technologieinvestitionen abteilungsübergreifend ausrichten wollen?

Rusty Warner: Die erste grosse Herausforderung ist, dass jede Abteilung ihre eigenen Verantwortlichkeiten und ihr eigenes Technologie-Ökosystem hat. Im Marketing werden andere Systeme genutzt als im Digitalteam, im Vertrieb oder im Service. Das führt zu Silos, die eine gemeinsame Ausrichtung erschweren. Viele Anbieter versprechen heute, einzelne Bereiche unabhängig von der IT zu machen. Das klingt attraktiv, schafft aber neue Insellösungen. Ich halte es für essenziell, dass Marketing, Vertrieb und Service ihre Daten und Systeme nicht isoliert betreiben, sondern in die Gesamtstrategie des Unternehmens integrieren. Die zweite Herausforderung sind die unterschiedlichen Ziele der Abteilungen. Marketer werden oft von kurzfristigen Zielen wie Umsatz oder Conversion getrieben – nicht selten auch durch die Vorgaben der Technikanbieter. Dabei wird der Customer Lifetime Value häufig missverstanden: Viele sehen ihn als Summe historischer Umsätze, dabei ist er eigentlich ein zukunftsorientiertes Modell zur Gewinnbetrachtung. Erst wenn Marketer lernen, langfristig und profitabel zu denken, werden sie als strategischer Treiber im Unternehmen wahrgenommen und nicht nur als «Promotion-Maschine», die man bei Bedarf an- oder ausschalten kann.

Wie gehen Unternehmen am besten vor, wenn sie ihre fragmentierten Tech-Stacks zu einem einheitlichen Ökosystem zusammenführen möchten?

Rusty Warner: Es braucht zunächst eine gemeinsame Taxonomie, also eine einheitliche Sprache und Struktur, idealerweise in enger Zusammenarbeit mit IT. Dann folgt eine ehrliche und detaillierte Bestandsaufnahme: Was haben wir, was funktioniert, wo gibt es Lücken? Das ist oft ein schmerzhafter Prozess, weil viele an ihren bestehenden Systemen hängen. Nach dieser Analyse gibt es drei Ansätze:

  • Erstens: Kann ich mit Anpassungen und Upgrades der bestehenden Infrastruktur meine Ziele erreichen?
  • Zweitens: Brauche ich für einen klar umrissenen Zweck eine spezielle Punktlösung, die ich ergänzen kann?
  • Drittens: Ist ein kompletter Austausch zentraler Systeme nötig, weil zu viele Lücken bestehen? Das sollte aber die Ausnahme sein. Wichtig ist, dass dieser Prozess methodisch und schrittweise erfolgt.

Aktuell ist das Thema Künstliche Intelligenz in aller Munde. Wie verändert KI die Anforderungen an Daten und die Tech-Infrastruktur?

Rusty Warner: Daten waren schon immer der entscheidende Faktor, aber mit KI wird das noch wichtiger. Viele Unternehmen müssen für KI ganz andere Daten erfassen als bisher. Es reicht nicht mehr, möglichst viele Details über den Kunden zu sammeln – das ist datenschutzrechtlich schwierig und oft gar nicht hilfreich. Entscheidend ist vielmehr, zu verstehen, was der Kunde von meiner Marke will. Neben First-Party-Daten, also den beobachteten Verhaltensdaten, gewinnen Zero-Party-Daten an Bedeutung: Informationen, die der Kunde freiwillig bereitstellt.

Ein Beispiel aus meinem Alltag: Ich musste mir wegen einer Fussverletzung Schuhe eine Nummer grösser kaufen. Plötzlich bekam ich viele Angebote für Schuhe in dieser Grösse – aber niemand fragte, warum ich diese Grösse gewählt hatte. Hätte mich jemand gefragt, hätte ich erklärt, dass es eine Ausnahmesituation ist. KI-Modelle, die solche freiwillig geteilten Informationen nutzen, können viel relevantere und kontextbezogenere Erlebnisse schaffen. Aber das funktioniert nur, wenn die KI als interaktive, dialogorientierte Schnittstelle genutzt wird – nicht als weiterer Einweg-Marketingkanal.

Wie wird das Technologie-Ökosystem verändert durch KI und neue Datenanforderungen?

Rusty Warner: Wir bewegen uns auf ein vernetztes Ökosystem zu, das weit über die Grenzen eines einzelnen Unternehmens hinausgeht. Mit agentenbasierter KI entstehen verschiedene Agenten und Frameworks, die in unterschiedlichen Markenumgebungen miteinander kommunizieren – etwa für Reservierungen, Zahlungen oder Loyalitätsprogramme. Die Wertschöpfung für den Kunden entsteht künftig in Netzwerken aus Partnern: Hotel, Airline, Taxi, Touranbieter, Restaurant. Marken müssen sich als Teil eines grösseren Wertrealisierungsnetzwerks verstehen, nicht als isolierte Einheit. Das bedeutet auch, dass technische Systeme und Datenflüsse über Unternehmensgrenzen hinweg nahtlos funktionieren müssen.

Welche Rolle spielen die Mitarbeitenden in dieser Transformation?

Rusty Warner: Die Mitarbeitererfahrung ist ein oft unterschätzter Faktor. Die menschlich unterstützten Kanäle bleiben ein wesentlicher Bestandteil fast jeder Kundenerfahrung. KI sollte nicht dazu dienen, den Menschen zu ersetzen, sondern ihn zu unterstützen – etwa indem sie Lücken schliesst, Prozesse effizienter macht oder Informationen bereitstellt, die Mitarbeitende für eine bessere Beratung benötigen. Die technologische Basis dafür muss geschaffen werden, aber der Mensch bleibt im Mittelpunkt. Ich glaube, dass die Integration von Mitarbeiter-, Kunden- und Markenerlebnis das nächste grosse Thema in der CX-Entwicklung sein wird.

Gibt es Beispiele aus der Praxis, wo Technologie zwar funktioniert hat, aber das emotionale Kundenerlebnis zu kurz kam?

Rusty Warner: Ja, ich habe das selbst erlebt: Nach 25 Jahren habe ich meine Hypothek abbezahlt. Die letzte Zahlung konnte ich nicht online erledigen, sondern musste mehrfach anrufen. Danach erhielt ich einen Brief, der mich aufforderte, eine neue Hypothek abzuschliessen – kein Glückwunsch, kein Dank für die jahrelange Treue. Im Online-Banking war die gesamte Historie gelöscht. Transaktional hat alles funktioniert, emotional war das Erlebnis enttäuschend. Die Bank betrachtete die Hypothek als reine Transaktion, nicht als Teil meines Lebens. Die Wahrnehmung zwischen Bank und mir als Kunde klaffte also weit auseinander. Interessanterweise war sich die Bank dessen nicht bewusst – die Verantwortlichen für Personalisierung dachten, sie hätten mir ein individuelles Erlebnis geboten.

Welchen Ratschlag gibst Du Technologie- und CX-Verantwortlichen für die Zukunft?

Rusty Warner: Auch wenn alle in unterschiedlichen Bereichen unterwegs sind, sollten sie sich am gleichen Ziel orientieren: dem bestmöglichen Kundenergebnis. Daraus lassen sich alle nötigen technologischen Komponenten ableiten. Das ist aufwendig und bedeutet oft, dass bestehende Systeme nicht mehr passen. Es braucht eine methodische, schrittweise Vorgehensweise und eine Roadmap für die Zukunft. Aber nur so gelingt die Transformation zu echter Kundenzentrierung. Am wichtigsten ist, immer wieder vom Kunden und seinem gewünschten Ergebnis aus zu denken – dann kann Technologie ihr volles Potenzial entfalten.

Meike Tarabori, Chefredaktorin cmm360

Meike Tarabori

Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.

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