«Nexus» & das grosse Rauschen

Agentic AIZukunft

"Nexus" & das grosse Rauschen"Nexus" & das grosse Rauschen
"Nexus" & das grosse Rauschen

Hararis neues Buch «Nexus» will eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur Künstlichen Intelligenz liefern – bleibt diesem Anspruch jedoch schuldig. Statt einer klaren Darstellung entsteht ein redundanter Text, der zentrale Begriffe der Informationstheorie ungenau verwendet und in weiten Teilen Wiederholungen früherer Werke präsentiert. Anekdoten ersetzen Analyse, während echte inhaltliche Tiefe fehlt. Kritisch wird es im KI-Teil, wo Harari vor dem Verlust des menschlichen Gleichgewichts warnt – jedoch ohne neue Erkenntnisse zu bieten.

Guten Gewissens kann ich das neue Buch von Yuval Noah Harari leider nicht empfehlen. Es führt zwar die «Informationsnetzwerke» im Untertitel, fällt aber weit hinter die aktuelle informationstheoretische Begrifflichkeit zurück in anekdotischen «Noise».

Eines gleich vorweg: «Nexus», das jüngste Buch des Bestseller-Autors Yuval Noah Harari, ist ein Etikettenschwindel. Weshalb? Ganz einfach: Sein Untertitel lautet «Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz». Dazu ist zweierlei zu bemerken. Erstens: Das Label «Kurze Geschichte…» gilt spätestens seit «Kurze Geschichte der Zeit» des Astrophysikers Stephen Hawking als umsatzfördernder Marketing-Slogan. Deshalb lautete schon der Untertitel von Hararis Welterfolg «Sapiens» auch «Eine kurze Geschichte der Menschheit». Dies zu Recht, denn dieser Text ist kompakt, gut geschrieben und ergo zügig und mit Genuss zu lesen. «Nexus» ist das pure Gegenteil. Womit wir beim zweiten und entscheidenden Punkt bezüglich Mogelpackung sind: Der Text ist gemessen an dem, was drin steht, schlicht zu lang geraten. Und das wiederum liegt an einer sozusagen doppelten Redundanz, welche die Verleger dem Autor ganz offensichtlich deshalb durchgehen liessen, weil Harari eh als Bestseller-Garant gesetzt ist.

Redundanz – textimmanent und werkübergreifend

Diese doppelte Redundanz besteht einerseits darin, dass Harari sich in «Nexus» selbst permanent wiederholt. In der Informationstheorie nennt man solches «Rauschen». Der Überschuss an Rauschen ist in «Nexus» eklatant. Harari erzählt zwar anekdotische Geschichten noch und noch. Aber deren Aussagekraft fällt unter dem Strich mickrig aus. Schon in der knappen ersten Hälfte des Buches ist er nicht imstande, die im Untertitel versprochene «Kurze Geschichte» der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur Moderne stringent zu präsentieren. Wer «Sapiens» und dessen Nachfolgebuch «Homo Deus» gelesen hat, weiss auch warum: Dort hat er diesbezüglich nämlich schon alles gesagt, was ihn daran interessiert und was ihm dazu einfällt. Was uns zur zweiten Redundanz – neben dem textimmanenten Rauschen – führt: Der ziemlich penetranten Wiederholung seiner nur leicht abgewandelten Ausführungen und Thesen, die er bereits in den erwähnten beiden vorgängigen Büchern formuliert hat.

Mythen und Bürokratie…

Bleiben wir noch kurz bei der ersten Hälfte von «Nexus» und fassen wir zusammen, was Harari zu den Informationsnetzwerken von der Steinzeit bis zur Moderne zu sagen hat: Der Mensch ist das Geschichten erzählende und Mythen bildende Tier, das qua Sprache zu besonders flexiblen Kooperationsformen fähig ist. Das entspricht der «Steinzeit» und ergo den schriftlosen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, welche die zwiespältigen Segnungen und Verpflichtungen bürokratisch verfasster grösserer sozialer Gebilde noch nicht kennen. Dann erwähnt Harari die ersten Tontafeln der mesopotamischen Sumerer, die den Anfang der buchhalterischen und militärischen Bürokratie markieren. Der Autor hat damit sein Grundthema gesetzt: Seit der Sesshaftwerdung basieren Gesellschaften auf Erzählungen/Mythen einerseits und auf bürokratisch fundierter und durch Bürokratie legitimierter Ordnung andererseits.

Soweit so gut. Daran ist nicht viel auszusetzen. Zumal sich das quasi «selbstverständlich» über die alten Griechen, die Römer, das katholische Mittelalter und auch mit Ausflügen ins chinesische Kaiserreich verträgt. Hararis Trick: Der erzählerische/ mythische Anteil und der bürokratische sollten möglichst im «Gleichgewicht» sein, ansonsten die Gesellschaft – also das entsprechende «Informationsnetzwerk» – zusammenzubrechen droht.

…im Harari-Gleichgewicht

Und jetzt noch kurz zum zweiten und – leider – umfangreicheren und erst recht redundanten bis geschwätzigen Teil von «Nexus». Darin geht es – wie im Untertitel schon prophezeit – um die Künstliche Intelligenz, die gemäss Hararis Logik das oben genannte «Gleichgewicht» massiv zu stören, wenn nicht zu vernichten droht. Und damit die Menschheit. Denn bis anhin waren ja sämtliche Informationsnetzwerke menschenbasiert – inklusive gedruckter Bücher, Radio, Fernsehen sowie auch «nicht-so-intelligente» Computerprogramme. Nun aber werden laut Harari digitale Algorithmen zu Agenten. Also selbstständig. Der Autor hat sicher recht, wenn er auf die Gefahren von KI hinweist: KI-Systeme verfügen über ein erhöhtes Manipulationspotenzial, gefährden somit demokratische Gefüge und müssen deshalb reguliert werden etc. In seiner ihm eigenen Dramatik reserviert er denn auch das englische Kürzel AI für «Alien Intelligence» anstelle von Artificial Intelligence.

Fazit

Das ist noch der lustigste Einfall in einem ansonsten eher drögen Buch eines permanent prophetisch mit dem Zeigefinger wedelnden Autors. Meine Leseempfehlung: Diejenigen, die weder «Sapiens» noch «Homo Deus» von Harari und auch sonst wenig bis nichts zu den potenziellen Gefahren durch KI gelesen haben, sollen «Nexus» lesen. Die anderen eher nicht.

Beat Hochuli - Bild: Beat Hochuli

Beat Hochuli

Beat Hochuli ist ein Schweizer IT-Journalist, der als freischaffender Autor mit Schwerpunkt auf Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) tätig ist. Seine Arbeit umfasst unter anderem Trendanalysen und Fachartikel zu Themen wie Augmented Reality, mobilen Anwendungen und digitalen Innovationen.

Mehr zu Agentic AI

Diskussion

Das könnte Sie auch interessieren