Künstliche Intelligenz (KI)-Projekte im Kundenservice sind ein Balanceakt: Effizienzgewinn und Kostenersparnis stehen dem Wunsch der Kunden nach persönlichem Service und kompetenter Beratung gegenüber. Ein unauflösbarer Widerspruch? Keineswegs. Ich zeige Ihnen in diesem Beitrag Strategien auf, wie sich Unternehmensziele und Kundenerwartungen vereinen lassen. Richtig eingesetzt, kann Künstliche Intelligenz im Kundenservice sogar helfen, die Kundenbeziehung zu stärken.
62% der Kunden schätzen das Gespräch mit menschlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei allen Interaktionen mit einer Marke (Studie von freshworks (2019)). Demgegenüber stehen 55% der Unternehmen, die glauben, mit dem Einsatz von KI im Kundenservice Kosten sparen zu können oder die dieses Ziel bereits erreicht haben. Nur 25% nannten die Verbesserung der Customer Experience als wichtigsten Treiber. Falsche Prioritätensetzung? Nicht unbedingt. Aber wenn KI-Lösungen keinen Mehrwert für den Kunden bieten oder beim Gebrauch sogar frustrieren, geht der Schuss nach hinten los. Ohne Nutzen, keine Akzeptanz. Das bedeutet dann, dass sich die Investitionen in KI nicht auszahlen.
Hinweise dazu, wie dieser Spagat gelingen kann, liefert eine Untersuchung von elaboratum (2019) zur Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz im Kundenservice der Finanz- und Versicherungsbranche. Wichtigste Erkenntnis: Auch bei Serviceprozessen, bei denen eine KI integriert ist, gilt es kundenzentrierte, ganzheitliche Customer Journeys zu konzipieren. Wenn dem Kunden glaubhaft vermittelt wird, dass am Ende des Service-Prozesses ein Service Agent sitzt, der ein auffälliges Ergebnis nochmals prüft oder dem der Chatbot ein Anliegen, bei dem er nicht weiterkommt, rechtzeitig übergibt, zahlt das auf die Akzeptanz von Self-Service-Angeboten ein.
Künstliche und menschliche Intelligenz: Richtig kombiniert eine «Win-Win-Win»-Situation
So viel zu den Herausforderungen beim Einsatz von KI im Kundenservice. Nehmen wir nun die Vorteile für Unternehmen, Kundenservice-Mitarbeitende und Kunden in den Blick. Für Unternehmen bedeuten erfolgreiche KI-Projekte, die vom Kunden angenommen werden, Effizienzsteigerung sowie Kosten- und Ressourcenersparnis. Im Gegensatz zum Menschen beantwortet die KI definierte Standard-Kundenanfragen 24/7 und sorgt dafür, dass der Kundenservice schneller und präsenter wird. Kundenservice-Teams gewinnen Zeit für komplexe, wichtige Kundenanliegen und damit ein spannenderes Tätigkeitsfeld, weil monotone Standard-Anfragen wegfallen. Häufig wiederkehrende Anfragen wie «Ist meine Rücksendung eingetroffen?» oder «Wo steckt mein Paket?» lassen sich gut automatisiert beantworten. So bleibt Zeit für echte Kundenberatung, bei der es auf den persönlichen Kontakt ankommt. Und wie profitiert der Kunde? Ja, dieser kommt schneller ans Ziel und in den Genuss eines individuelleren Service. Letzteres mag im ersten Moment wie ein Widerspruch klingen. Bei genauerer Betrachtung aber leuchtet das durchaus ein: Motiviertere Mitarbeitende mit mehr Zeit für «echten» Kundenservice und ein KI-Toolkit, das auch viel über die Bestellhistorie, Gefühlslage und Bedürfnisse des Kunden verrät? Da profitiert der Kunde allemal!
Wie kann KI im Kundenservice ganz konkret helfen?
Die Einsatzbereiche der Künstlichen Intelligenz im Kundenservice sind dabei vielfältig und reichen weit über den Chatbot hinaus, der einem wohl als erstes in den Sinn kommt.
- Self Service: Die Idee ist gut: Der Kunde wird ermächtigt, sich selbst zu helfen und auf alle wichtigen Informationen zuzugreifen, unabhängig von den Öffnungszeiten. In der Realität sieht es aber oft ganz anders aus: Viele Self-Service-Angebote sind noch nicht ausgereift, weshalb der Kunde oft frustrierende Erlebnisse hat und sich dann doch an den Kundenservice wenden muss. Künstliche Intelligenz kann hier helfen, Informationen besser zugänglich, bzw. auffindbar zu machen, beispielsweise in Form eines intelligentes Suchfenster oder personalisierter Kundenkonti.
- Produktbewertungen: Auch im Bereich der Kundenrezensionen kann KI helfen, sei es bei der Prüfung von Produktbewertungen vor der Veröffentlichung oder bei der Erkennung von Tendenzen in den Rückmeldungen. Durch eine Verknüpfung mit dem CRM lassen sich bestimmte Kundenbeschwerden besser einordnen und die passende Strategie je nach Kundenstatus finden. Produktbewertungen eignen sich apropos auch zur Kundenbindung: Statt einer generischen NPS-Umfrage entscheidet die KI je nach Status der Bestellung, ob eine Produktbewertungs-Einladung an den Kunden gesendet werden soll oder nicht.
- Churn Prevention und Retention: In der Erkennung von Mustern und Tendenzen, ist die KI sehr stark. Das können Unternehmen sich zunutze machen, um beispielsweise absprunggefährdete Kunden frühzeitig zu identifizieren und an den Kundenservice zu übergeben. Dieser kann dann entsprechende Kundenbindungsmassnahmen einleiten, die durch die KI auf ihre Erfolgsaussichten für den jeweiligen Kunden geprüft wurden.
- Trenderkennung: Predicitive Analytics kann aber auch dafür eingesetzt werden, Trends zu erkennen oder Anomalien (beispielsweise im Bestellverhalten) aufzuspüren. Häufen sich Reklamationen zu einem bestimmen Produkt? Heisst es bei einem Kleidungsstück z.B. vermehrt, dieses falle zu klein aus, kann auf diesen Umstand bei der Bestellung bereits aufmerksam gemacht werden. So lassen sich unnötige Retouren vermeiden, Shitstorms können abgewendet werden und der Kundenservice nimmt bei der Gestaltung der Kundenbeziehung eine proaktive Rolle ein, statt nur zu reagieren.
- Ticket-Priorisierung: Kundenanfrage ist nicht gleich Kundenanfrage. Die Dringlichkeit variiert. KI kann dem Ticketsystem helfen zu priorisieren, sodass die Servicemitarbeitenden die Anliegen nach Dringlichkeit statt chronologisch abarbeiten.
Welches Einsatzfeld auch immer für Sie am interessantesten ist: Es geht darum, PS auf die Strasse zu bringen. Was ich damit sagen will: Die KI im Kundenservice muss den Alltagstest bestehen. Profitieren das Unternehmen, das Serviceteam und die Kunden? Nimmt der Kunde die Lösung an? Wenn nein, wo drückt der Schuh? Hier gilt es Experimente zu machen, Testballons zu starten, aktiv zu werden. Jetzt ist eine gute Zeit dafür, wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz zu sammeln!
Über den Autor
Bernhard Egger ist Retail und Kundenservice Community Manager beim Softwarehersteller BSI. Sein Herz schlägt für intelligenten Kundenservice und für Kundenerlebnisse, die positiv nachwirken.