Kundenzentrierung ist essenziell für Unternehmenserfolg. Statt starrer Prozesse müssen flexible, interdisziplinäre Strukturen geschaffen werden, um Kundenbedürfnisse optimal zu erfüllen. Self-Service und Automatisierung steigern Effizienz, dürfen aber den menschlichen Kontakt nicht ersetzen. Unternehmen müssen Zukunftstrends früh erkennen und ihre Geschäftsmodelle strategisch anpassen. Agilität und Business-Ecosysteme gewinnen an Bedeutung, da Digitalisierung und Nachhaltigkeit zunehmend ineinandergreifen. Gefragt sind vielseitige Talente, die interdisziplinär denken und Innovationen vorantreiben. Erfolgreiche Unternehmen kombinieren operative Exzellenz mit strategischer Weitsicht.
Ein Gespräch mit Anne M. Schüller, Keynote Speakerin, Übermorgengestalterin, Management-Denkerin und Bestsellerautorin. Mit einem umfangreichen Hintergrund im Bereich Sales und Marketing, zuletzt als CMO bei einem internationalen Hotelkonzern, bringt Anne M. Schüller über 20 Jahre Erfahrung in ihrer heutigen Rolle als Impulsgeberin für Unternehmen mit. Ihr Ziel: Unternehmen dabei zu unterstützen, sich vollständig auf ihre Kunden auszurichten – denn ohne Kunden gibt es kein Unternehmen.
Wie definierst du kundenzentrierte Unternehmensführung?
Anne M. Schüller: Kundenzentrierung bedeutet, das gesamte Unternehmen auf den Kunden auszurichten. Das betrifft nicht nur die Marketing- oder Vertriebsabteilung, sondern alle Bereiche des Unternehmens. Jeder im Unternehmen muss verstehen, dass es dem Unternehmen nur gut geht, wenn die Kunden kommen und kaufen. Natürlich muss ein Unternehmen auch auf seine wirtschaftliche Situation achten, aber im Zweifel geht der Kunde immer vor. In vielen Unternehmen stehen jedoch die eigenen Prozesse im Mittelpunkt. Kunden müssen sich in diese Prozesse einfügen, oft mit veralteter Software arbeiten und erleben Frustrationen, weil die Unternehmen sich primär auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentrieren. Das führt dazu, dass Kunden bei nächster Gelegenheit zu einem anderen Anbieter wechseln. Daher ist es entscheidend, dass alle im Unternehmen das Prinzip der Kundenzentrierung verstehen und umsetzen.
Wo siehst du die grössten Herausforderungen beim Verstehen und Umsetzen von Kundenzentrierung?
Anne M. Schüller: Eine der grössten Herausforderungen ist die organisatorische Struktur vieler Unternehmen, die oft in Silos aufgeteilt sind. Kunden betrachten das Unternehmen als Ganzes und interessieren sich nicht für Abteilungsgrenzen. Wenn jedoch jemand, der für das Kundenerlebnis verantwortlich ist, aufgrund dieser Abteilungsgrenzen limitiert ist, kann er seine Arbeit nicht effektiv machen. Diese Silo-Denke muss aufgebrochen werden, insbesondere im operativen Bereich. Es ist wichtig, dass Mitarbeitende interdisziplinär und interhierarchisch arbeiten, um Produkte und Dienstleistungen vollständig auf den Kunden auszurichten. Silos sind Anomalien in hochvernetzten Zeiten und Unternehmen müssen lernen, cross-funktional zu arbeiten, um kundenorientierte Lösungen zu bieten.
Wie gelingt es von der Theorie der Kundenzentrierung zur Praxis?
Anne M. Schüller: Ich empfehle, im Kleinen anzufangen. Grosse Projekte, die lange analysiert werden, führen oft zu Verzögerungen. Unternehmen sollten mit Quick-Wins beginnen, also mit kleinen, schnellen Erfolgen. Diese Erfolge motivieren und ermutigen die Beteiligten, weitere Schritte zu gehen. Es ist auch wichtig, sich von alten, ineffizienten Prozessen zu trennen und Platz für neue, produktivere Prozesse zu schaffen. Dabei sollten auch die Kosten der alten Prozesse berücksichtigt werden, einschliesslich Transaktions- und Opportunitätskosten. Es geht darum, alte, kostspielige Prozesse zu eliminieren und durch effizientere, modernere Prozesse zu ersetzen, die heutzutage durch KI unterstützt werden können.
Sind Self Service und Automatisierung in deinen Augen solche Quick-Wins? Dem Kunden die Freiheit zu geben, seine Anliegen zu lösen, wann er möchte.
Anne M. Schüller: Ja, und zwar in einem Sowohl-als-auch-Denken. In den Unternehmen gibt es häufig eine Diskussion zwischen entweder oder – entweder Self-Service oder Service durch Mitarbeitende. Aber wir müssen verstehen, dass Kunden beides nutzen. Es gibt nicht die eine Customer Journey. Kunden haben je nach Kontakt und Kaufprozess verschiedene Customer Journeys. Manchmal möchte der Kunde schnell eine Online-Bestellung abschliessen, weil er bereits informiert ist oder eine Empfehlung erhalten hat. In solchen Fällen wird der Self-Service genutzt und alles im E-Shop erledigt. Doch in anderen Situationen suchen wir den persönlichen Kontakt, besonders wenn die Angelegenheit komplex oder emotional ist.
Unternehmen müssen erkennen, dass beide Optionen – Self Service und menschlicher Service – wichtig sind. Aktuell sind bspw. Chatbots noch nicht ausgereift genug. Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: Ich hatte ein technisches Problem und der Chatbot konnte mir nicht weiterhelfen. Ich musste mehrfach betonen, dass ich mit einem Menschen sprechen möchte. Nach mehreren Versuchen wurde ich endlich zu einer Mitarbeiterin weitergeleitet. Diese sagte beruhigend zu mir: «Frau Schüller, lehnen Sie sich entspannt zurück. Wir bekommen das gemeinsam hin.» Diese menschliche Ansprache hat mich sofort beruhigt und wir konnten das Problem innerhalb von zwei Minuten lösen. Ein Chatbot hätte das niemals bewirken können.
Unternehmen müssen also beides bieten: effizienten Self Service für einfache Anliegen und schnellen Zugang zu menschlichem Service für komplexe oder emotionale Probleme. Die zunehmende Automatisierung und der Einsatz von KI führen oft dazu, dass Mitarbeitende wegrationalisiert werden. Dabei wird übersehen, dass gerade der menschliche Kontakt für die Kundenzufriedenheit und -bindung unerlässlich ist. Kunden, die sich gut aufgehoben fühlen, bleiben dem Unternehmen treu. Daher ist es entscheidend, eine Balance zwischen Self Service und menschlichem Service zu finden und Kunden die Wahl zu lassen.
Welche strategischen Überlegungen sollen Unternehmen in deinen Augen anstellen, um zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben?
Anne M. Schüller: Ein Unternehmen muss nicht nur operative Erfolge erzielen, sondern auch eine umfassende Strategie für die Zukunft entwickeln. Der erste Schritt dabei ist, die Zukunft zu verstehen. Es ist entscheidend, die aktuellen Trends zu erkennen, selbst wenn sie sich zunächst nur in schwachen Signalen zeigen. Diese Trends müssen weitergedacht und in die Zukunft projiziert werden.
Zum Beispiel: Wie wird sich ein bestimmter Trend in fünf Jahren auf unser aktuelles Geschäftsmodell auswirken? Sobald wir diese Zukunftsvision haben, müssen wir unser Geschäftsmodell zurückrechnen, ein Prozess, den wir Retropolation nennen. Anstatt linear von heute in die Zukunft zu planen, müssen wir uns auf eine exponentielle Denke einstellen, denn unsere Welt ist nicht mehr linear. Wir leben in exponentiellen Zeiten, in denen Entwicklungen plötzlich sehr schnell voranschreiten. Unternehmen, die glauben, dass es jetzt schon schnell ist, haben noch nicht die volle Geschwindigkeit erlebt, die auf uns zukommt. Wir werden in Hochgeschwindigkeits-Wildwasser-Zeiten leben, die enorme Agilität und Anpassungsfähigkeit erfordern.
«Kundenzentrierung bedeutet, das gesamte Unternehmen auf den Kunden auszurichten.»
Unsere Geschäftsmodelle werden sich drastisch ändern. Viele Unternehmen werden die Herausforderungen der Zukunft nicht alleine bewältigen können, weil die Digitalisierung immer komplexer und teurer wird. Daher müssen Unternehmen verstärkt in Business-Ecosystemen arbeiten, in denen sie sich mit anderen Unternehmen zusammenschliessen, um dem Kunden umfassende Lösungen aus einer Hand zu bieten. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist Apple, das eine komplette Ökosystem-Welt geschaffen hat, in der die Kunden bleiben wollen. Dieses Modell funktioniert nicht nur in der digitalen, sondern auch in der analogen Welt.
Um in dieser vernetzten Welt erfolgreich zu sein, brauchen wir auch einen neuen Typ Mitarbeitende. Diese Menschen müssen sehr flexibel, agil, anpassungsfähig und mutig sein. Sie sollten bereit sein, neue Wege zu gehen, Fehler und Irrwege zu akzeptieren und sich davon nicht entmutigen zu lassen. Diese Mentalität ist entscheidend. Leider suchen viele Unternehmen immer noch hauptsächlich nach Spezialisten. Die Anforderungen an HR-Abteilungen bestehen oft darin, genau den Kandidaten zu finden, der dem heutigen Bedarf entspricht. Dabei wird übersehen, dass sich die Anforderungen schon morgen ändern können.
Welche Fähigkeiten sollten Mitarbeitende denn in Zukunft mitbringen?
Anne M. Schüller: Die Fähigkeiten und Kompetenzen, die heute gefragt sind, könnten morgen obsolet sein, weil sich die Welt insbesondere durch digitale und Nachhaltigkeitsthemen, schnell weiterentwickelt. Daher brauchen wir nicht nur Spezialisten, sondern auch Generalisten, die in der Lage sind, das grosse Ganze zu sehen und interdisziplinär zu denken. Ein Beispiel ist die Automobilindustrie: Ein Spezialist für Vergaser kann nicht einfach auf Elektroautos umsteigen, da diese ein völlig anderes Geschäftsmodell erfordern.
Was wir also brauchen, sind sogenannte T-Shaped Persönlichkeiten, die sowohl tiefes Fachwissen in einem Bereich als auch breites Wissen in anderen Bereichen haben. Noch wichtiger sind die H-Profile, die zwei unterschiedliche Bereiche miteinander verbinden können und als Konnektoren und Vernetzer fungieren. In Zukunft werden auch X-Shaped Persönlichkeiten eine grosse Rolle spielen, die an Schnittstellen arbeiten und Business-Ecosysteme erschaffen können. Sie verbinden verschiedene Bereiche, wie die sogenannte Twin Transformation, welche die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung verbindet. Diese Art von Menschen werden in Zukunft strategisch wichtig sein, doch sie werden heute noch kaum gesucht. Unternehmen konzentrieren sich nach wie vor auf spezialisierte Fachkräfte, obwohl sie bald ganz andere Kompetenzen benötigen werden.
«Die Zukunft gehört den Mutigen von heute.»
Insgesamt müssen Unternehmen lernen, sich parallel zu operativen Erfolgen auch strategisch auf die Zukunft vorzubereiten. Das bedeutet, die Trends der Zukunft zu verstehen, attraktive Zukunftsbilder zu entwickeln und sich entsprechend zu positionieren und die richtigen Menschen mit den richtigen Fähigkeiten zu finden und zu fördern.
Wie meistern Unternehmen folglich den Weg in eine erfolgreiche Zukunft?
Anne M. Schüller: Unternehmen sollten einen wachsamen Optimismus entwickeln. Sie sollten die Zukunft verstehen und die Herausforderungen als Chancen betrachten. Es ist wichtig, rechtzeitig zu handeln und sich kontinuierlich mit den Trends und Entwicklungen auseinanderzusetzen. Unternehmen müssen flexibel und agil sein, um sich schnell an Veränderungen anzupassen. Zudem sollten sie sich auf strategischer Ebene gut vorbereiten und ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen.
In meinem Buch «Zukunft meistern» zeige ich auf, wie Unternehmen diese Herausforderungen bewältigen können. Es bietet viele praktische Tipps und Tools sowohl für die operative als auch für die strategische Ebene. Wenn Unternehmen verstehen, wie sie die Zukunft meistern können, können sie sich einen starken Platz in der Zukunft sichern.

Anne M. Schüller
Anne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus. www.anneschueller.de