Künstliche Intelligenz verändert die Medizin, doch die Fortschritte in der biomedizinischen KI-Forschung sind global ungleich verteilt, zeigt eine neue Studie. Diese Ungleichheit könnte den gerechten Zugang zu Gesundheit in bestimmten Regionen der Welt behindern. Die meisten Publikationen kommen aus Asien – aber in punkto Qualität überzeugen andere Regionen mehr.
Während bei der Gesamtzahl der Publikationen in der biomedizinischen KI-Forschung Asien führt, gehen 70 Prozent der hochqualitativen Publikationen auf das Konto nordamerikanischer und europäischer Forschender. Als hochqualitativ gelten Manuskripte, die in renommierten biomedizinischen Fachzeitschriften erscheinen und besonders häufig zitiert werden. Zu diesen Ergebnissen kommen die Ökonomen Prof. Dr. Marc Lerchenmüller und Dr. Leo Schmallenbach von der Universität Mannheim in ihrer neuesten Studie. Diese wurde in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications diese Woche veröffentlicht. Co-Autor der Studie ist Prof. Dr. Dr. Till Bärnighausen von der Universität Heidelberg.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher knapp 400.000 biomedizinische Publikationen aus den Jahren 2000 bis 2022. Ein Teil davon betrifft klinische Studien, die direkt an Patient*innen durchgeführt werden mit dem Ziel, neue Medikamente zu entwickeln. Andere fokussieren sich auf diagnostische KI-Anwendungen, die beispielsweise automatisiertes Auslesen von MRT-Bildern ermöglichen oder das Auswerten von HIV-Tests mit Hilfe eines Tablets möglich machen – was unter anderem im ländlichen Südafrika von hoher Bedeutung ist.
Ihre Analyse zeigt, dass mit 45 Prozent fast die Hälfte aller Veröffentlichungen aus den USA und aus China stammen, wobei im Jahr 2020 China die USA überholte. Der größte Anteil an hochqualitativer Forschung im untersuchten Zeitraum stammt aus den USA, Australien und einigen europäischen Ländern. Auf Lateinamerika und Afrika entfallen hingegen weniger als zwei Prozent der Veröffentlichungen in diesen hochrangigen Publikationen.
„Künstliche Intelligenz hat das Potential, die Gesundheitsversorgung weltweit zu verändern und den Zugang zu Gesundheit zu demokratisieren“, sagt Erstautor Schmallenbach. „Unsere Daten weisen allerdings auf eine Polarisierung der KI-Forschung hin, die dazu führen könnte, dass diese Demokratisierung gar nicht oder nur sehr verzögert eintritt“, so Schmallenbach weiter.
„Wir sehen auch, dass der Anteil an Qualitätsbeiträgen aus Europa über die Zeit etwas abnimmt“, erläutert Co-Autor Lerchenmüller, Juniorprofessor für Technologische Innovation und Management-Wissenschaften. „Das zeigt, dass wir uns in einem sehr intensiven Wettbewerb befinden“.
Forschung über die Grenzen hinweg
Die Studie zeigt ferner, dass internationale Kooperationen wirkungsvollere Forschungsergebnisse erzielen als national ausgerichtete Forschung und eher zu Projekten führen, die klinische Anwendungen finden oder Folgestudien beeinflussen. Auch hier zeigen sich regionale Unterschiede: Während in Asien und in Nordamerika die Forschenden vorzugsweise mit Kolleg*innen aus dem gleichen Land zusammenarbeiten, ist Europa offener für internationale Kollaborationen und beteiligt sich aktiver daran. Afrika und Lateinamerika nehmen insgesamt nur im geringen Ausmaß an Forschungsvorhaben in der biomedizinischen KI-Forschung teil, und könnten insbesondere von Kollaborationen, die über die Grenzen hinweg stattfinden, profitieren. In den vergangenen vier Jahren stagniert die internationale Zusammenarbeit jedoch in allen Regionen der Welt und nimmt tendenziell sogar ab.
„Gerade in diesem wichtigen und zukunftsträchtigen Bereich der Lebenswissenschaften ist die zunehmend national ausgerichtete Forschung eine bedenkliche Entwicklung“, sagt Lerchenmüller. Die Studienautoren sind überzeugt, dass die KI ihr Potential in der medizinischen Versorgung mit Hilfe von geographischer Integration und internationaler Zusammenarbeit besser ausschöpfen könne.