Die Notwendigkeit ständiger Anpassung kennen wir nicht nur im Sport, sondern auch in der Wirtschaft. Anhand von Carlo Ancelottis «Weihnachtsbaum-System» im Fussball wird gezeigt, wie anfänglich erfolgreiche Strategien mit der Zeit an Wirkung verlieren, wenn sie nicht weiterentwickelt werden. Diese Erkenntnis wird auf die Unternehmenswelt übertragen, wo Geschäftsmodelle und Technologien ebenfalls an Relevanz verlieren können. Beispiele aus der Wirtschaft illustrieren, wie Unternehmen durch proaktive Transformation erfolgreich bleiben. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Fähigkeit, Veränderungen als Normalzustand zu akzeptieren, Kundenfeedback zu nutzen und Risiken einzugehen. Nur so können Unternehmen langfristig wettbewerbsfähig bleiben.
Es gibt im Sport immer wieder Momente, in denen eine geniale Idee für Furore sorgt. Ein Trainer entdeckt eine neue Spielweise, die für einige Zeit kaum zu schlagen ist. Die Gegner sind überrascht, Spiele werden gewonnen, Titel geholt. Doch mit der Zeit lernen auch die anderen Teams dazu: Sie analysieren, finden Schwachstellen, entwickeln Gegenstrategien. Was anfangs revolutionär war, wirkt plötzlich vorhersehbar.
Genau diese Erfahrung machte Carlo Ancelotti, einer der erfolgreichsten Fussballtrainer Europas. In seinen Jahren beim AC Milan prägte er eine spezielle Spielweise, die im Volksmund das «Weihnachtsbaum-System» genannt wurde. Statt der klassischen zwei Stürmer setzte er auf eine dichte Mittelfeldzentrale mit drei Mittelfeldspielern und zwei offensiven Spielmachern dahinter. Die Idee: maximale Kontrolle im Zentrum, Ballbesitz und Dominanz im Spielaufbau. Lange funktionierte das hervorragend, Milan gewann Meisterschaften und die Champions League. Doch irgendwann hatten die Gegner verstanden, wie man das System aushebelt: Setzt man den spielgestaltenden Mittelfeldspieler früh unter Druck, bricht das gesamte Konstrukt zusammen.
Ancelotti reagierte und veränderte seinen Ansatz. Er experimentierte mit neuen Formationen, verteilte Verantwortung anders und bewahrte sich so seine Wettbewerbsfähigkeit. Der Kern der Geschichte: Erfolg ist kein Endzustand. Er verlangt ständige Anpassung.
Parallelen zum Business-Alltag
Was bedeutet das für die Unternehmenswelt? Erfolgsfaktoren sind auch hier oft zeitlich begrenzt. Geschäftsmodelle, die jahrelang stabil waren, verlieren plötzlich an Strahlkraft. Technologien, die einst Differenzierung brachten, werden Commodity. Kunden, die früher loyal waren, probieren Neues aus. Und Wettbewerber? Sie beobachten, analysieren und lernen, genau wie gegnerische Fussballtrainer.
Einige prominente Beispiele
- Kodak: Jahrzehntelang dominierte der Konzern den Markt für analoge Fotografie. Doch anstatt die eigene, bereits entwickelte Digitalkamera konsequent zu vermarkten, hielt man am bisherigen Geschäftsmodell fest. Das Resultat ist bekannt: Während neue Player wie Canon oder später Smartphone-Hersteller das Feld eroberten, blieb Kodak zurück. Der «Weihnachtsbaum» der Fotografie hielt nicht ewig.
- Blockbuster: Auch im Entertainmentbereich wiederholt sich die Geschichte. Die Firma Blockbuster war Marktführer im Videotheken-Business. Als Streaming erste Schritte machte, unterschätzte das Management die Wucht des Wandels. Netflix, damals noch ein kleiner DVD-Versender, erkannte die Zeichen der Zeit, erfand sich neu, und Blockbuster verschwand vom Markt.
- Nokia: Anfang der 2000er Jahre galt das finnische Unternehmen als Synonym für Mobiltelefone. Doch die Erfolgsrezepte waren zu starr. Apple und Google brachten mit iOS auf dem iPhone und Android völlig neue Nutzererlebnissse, und stellten das Spielfeld auf den Kopf. Nokia reagierte zu spät.
Doch es gibt auch Gegenbeispiele: Unternehmen, die ihre eigene Transformation proaktiv vorangetrieben haben
- Nike: Der Sportartikelhersteller hätte sich auf seine Kernkompetenz, physische Produkte wie Schuhe und Bekleidung, beschränken können. Stattdessen erkannte Nike früh, dass Sport zunehmend digital wird. Das Unternehmen investierte massiv in Apps, Wearables und digitale Communities. Mit Nike+, später Nike Training Club und Nike Run Club, schuf der Konzern ein Ökosystem, das weit über den reinen Produktverkauf hinausgeht. Heute verbindet Nike physische Produkte mit digitalen Services, sammelt wertvolle Kundendaten und bindet Millionen Nutzer emotional an die Marke. Nike hat seinen «Weihnachtsbaum» nicht aufgegeben, sondern weiterentwickelt, bevor es nötig wurde.
Diese Geschichten zeigen: Es reicht nicht, einmal ein gutes Modell zu finden. Die Umgebung verändert sich. Märkte, Technologien, Kundenbedürfnisse, alles ist in Bewegung. Wer glaubt, ein eingefrorenes Erfolgsrezept garantiere ewige Marktführerschaft, riskiert den Fall vom Gipfel.
Was Unternehmen lernen können
Der entscheidende Unterschied zwischen Gewinnern und Verlierern ist die Fähigkeit zur ständigen Anpassung.
Veränderung als Normalzustand begreifen
Transformation darf nicht nur als Reaktion auf Krisen verstanden werden. Erfolgreiche Organisationen verankern Wandel in ihrer DNA. Sie schaffen Strukturen, die Anpassung ermöglichen, sei es durch agile Teams, flexible Prozesse oder eine innovationsfreundliche Kultur.
Kunden als Frühwarnsystem nutzen
Im Fussball sieht man, wie Gegner beginnen, eine Taktik zu durchschauen. Im Business übernehmen diese Rolle die Kunden. Ihre Fragen, ihr Verhalten, ihr Abwandern sind Signale. Unternehmen, die aufmerksam zuhören und die dabei entstehenden Daten intelligent nutzen, erkennen früh, wenn ein Modell an Schlagkraft verliert.
Experimentieren und Risiken eingehen
Kein Trainer gewinnt jedes Spiel mit derselben Aufstellung. Erfolgreiche Firmen schaffen Räume, um Neues zu testen: Prototypen, Pilotprojekte, Marktexperimente aber auch die Offenheit für mehrere gleichzeitige Varianten. So lassen sich Chancen prüfen, ohne gleich das gesamte Unternehmen zu riskieren.
Von innen heraus transformieren
Wandel bedeutet nicht nur neue Produkte oder Technologien. Oft braucht es auch organisatorische Anpassungen: neue Formen der Zusammenarbeit, veränderte Führungsstile, stärkere Einbindung von Mitarbeitenden. Wer Transformation nur als «Technik-Upgrade» versteht, scheitert. Team-Arbeit wird immer wichtiger.
Proaktiv statt reaktiv handeln
Der grösste Fehler ist es, erst dann zu handeln, wenn der Wettbewerber schon einen Schritt voraus ist. Netflix wartete nicht, bis Streaming Mainstream war, sie machten es zum Mainstream. Apple brachte das iPhone nicht, weil Kunden es forderten, sondern weil sie erkannten, dass es das Spiel neu definieren würde.
Schlussfolgerung
Carlo Ancelottis «Weihnachtsbaum» lehrt uns, dass auch brillante Systeme irgendwann stumpf werden, wenn sie nicht weiterentwickelt werden. In der Geschäftswelt gilt das Gleiche: Der grösste Gegner ist nicht der Wettbewerb, sondern die eigene Selbstzufriedenheit.
Wir müssen uns verändern, bevor andere uns dazu zwingen. Das bedeutet, Trends nicht nur zu beobachten, sondern ihnen vorzugreifen. Mutig genug zu sein, eingefahrene Erfolgsrezepte zu hinterfragen. Und eine Organisation zu schaffen, die Wandel nicht fürchtet, sondern lebt.
Nur so bleiben wir im Spiel, nicht als Verfolger, sondern als Gestalter.
Gregorio Uglioni
Gregorio Uglioni ist darauf spezialisiert, Organisationen durch komplexe Business- und digitale Transformationen zu führen und dabei messbare Ergebnisse in Wachstum, Kundentreue und operativer Exzellenz zu erzielen. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung und ist Partner bei Forward in Zürich. Zuvor hatte er leitende Managementfunktionen bei Swisscard AECS (ein Joint Venture von American Express und Credit Suisse), in einem führenden Schweizer Spital sowie bei Accenture im Consulting inne. Als Keynote Speaker hat Gregorio bereits auf vier Kontinenten gesprochen und ist Host des weltweit anerkannten Podcasts „Business Transformation Pitch with the CX Goalkeeper“. Zudem ist er Co-Autor mehrerer Fachpublikationen und engagiert sich aktiv in der CX- und Transformations-Community.
