Der Aufbau internationaler Marketing Automation ist mehr als die Einführung neuer Software – er verlangt durchdachte Prozesse, technisches Verständnis und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Simone Leicht zeigt, wie wichtig es ist, Customer Journeys zu modellieren, Stakeholder früh einzubinden und den Vertrieb aktiv mitzunehmen. Nur so entstehen Akzeptanz, klare Schnittstellen und messbare Mehrwerte. Marketingteams müssen dabei Kreativität mit technischem Know-how verbinden, um Prozesse fehlerfrei und effizient zu steuern.
Simone Leicht, Global Senior Omnichannel- und Marketing Automation Managerin bei der Komax Gruppe, spricht über die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren beim Aufbau internationaler Marketing Automation-Prozesse. Im Interview erklärt sie, warum gute Vorbereitung wichtiger ist als schnelle Tool-Einführungen, wie die Zusammenarbeit mit dem Vertrieb gelingt und welche Kompetenzen Marketingteams heute wirklich brauchen.
Frau Leicht, würden Sie sich und Ihren Aufgabenbereich bitte kurz vorstellen? Was genau macht die Komax Gruppe?
Simone Leicht: Ich bin seit mittlerweile über 35 Jahren im Marketing tätig und habe meine Karriere ganz klassisch als Werbetexterin begonnen. Nach Stationen in der Mediaplanung und vielen analogen Projekten hat sich mein Fokus mit den Jahren immer stärker auf die Digitalisierung des Marketings verschoben. Heute bin ich als Global Senior Omnichannel- und Marketing-Automation Managerin bei der Komax Gruppe dafür verantwortlich, dass unsere Marketing-Prozesse – insbesondere das Kampagnen- und Funnel-Management sowie die Customer Experience – möglichst automatisiert, effizient und zielgerichtet ablaufen. Dazu gehören einerseits die technische Integration und Steuerung unserer Systeme, etwa des CRM, aber auch Themen wie Datenmanagement, Prozessarchitektur und die bereichsübergreifende Zusammenarbeit mit Vertrieb und After-Sales.
Die Komax Gruppe ist ein weltweit agierendes B2B-Unternehmen und führender Anbieter im Bereich automatisierte Kabelverarbeitung inklusive Qualitätssicherung. Wir entwickeln, produzieren und vertreiben Maschinen und Lösungen, die insbesondere in Industrien wie Automotive, Luftfahrt oder Haushaltsgeräte zum Einsatz kommen. Das Unternehmen hat sieben verschiedene Marken, ist an zahlreichen Standorten auf allen Kontinenten vertreten und betreut Kunden rund um den Globus – die Themen Internationalität und Komplexität spielen also eine enorme Rolle in unserem Alltag.
Wie startet man in einem so komplexen, internationalen Umfeld ein Marketing-Automation-Projekt sinnvoll?
Das Wichtigste ist, sich vorab sehr ausführlich Gedanken darüber zu machen, wie Marketing Automation in die bestehende Organisation, Systemlandschaft und Prozesse eingebettet werden soll. Man kann viele moderne Tools heute technisch relativ schnell aufsetzen. Die eigentliche Herausforderung und der Erfolg liegen aber darin, das Thema sauber in alle Abläufe und Verantwortlichkeiten zu integrieren.
Wir starten immer damit, die gesamte Prozesskette zu visualisieren:
- Welche Kanäle spielen eine Rolle?
- Welche Daten werden weitergegeben?
- Wann ist der Punkt erreicht, an dem Marketing und Vertrieb als Nächstes aktiv werden müssen?
Diese Transparenz ist wichtig, um intern die erforderlichen Abstimmungen zu ermöglichen und jedem klarzumachen, welche Informationen wo benötigt werden und welche Aufgaben und Konsequenzen daraus folgen.
Entscheidend ist auch, die Beteiligten frühzeitig mitzunehmen, denn in der Praxis stoßen viele Marketing-Automation-Projekte dann an Grenzen, wenn Abteilungen isoliert arbeiten oder sich zu wenig austauschen. Am Anfang stehen daher ein konzeptioneller Workshop und viel Vorbereitungsarbeit, bevor wir technisch in die Umsetzung gehen.
Wie gelingt Ihnen die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, insbesondere mit dem Vertrieb?
Das gelingt tatsächlich über offene Kommunikation, kontinuierliche Abstimmung und gezielte Trainings. Gerade im Vertrieb gibt es oft Berührungsängste mit technischen Themen oder Vorbehalte, wenn es um «ihre» Kundendaten geht. Es ist enorm wichtig, transparent zu machen, welche Daten durch das Marketing bearbeitet werden, wann diese Daten an den Vertrieb weitergegeben werden und wie die Übergabe ganz konkret abläuft.
Wir vermitteln dem Vertrieb, was im Hintergrund passiert, sprich, wie Leads angereichert werden, wie Aufgaben und Kontakte im CRM entstehen und welche Auswirkungen das für die tägliche Arbeit hat. Gleichzeitig ist es entscheidend, die Konzepte und Ziele des Marketings regelmäßig mit dem Vertrieb abzustimmen, Feedback einzuholen und laufend nachzuschärfen. Erfahrungsgemäß entsteht Akzeptanz, wenn der Nutzen klar und nachvollziehbar ist – zum Beispiel durch schnellere und bessere Qualifizierung von Leads oder automatisierte Trigger für Vertriebsaktionen.
Über welche Kompetenzen sollte ein Marketingteam heute verfügen, wenn es Automation-Prozesse steuern soll?
Kreativität und Kommunikationsgefühl sind immer noch wichtig, aber längst nicht mehr ausreichend. Heute ist ein hoher technischer Sachverstand ebenso essenziell. Mitarbeitende im Marketing müssen Systeme und Schnittstellen verstehen, Workflows fehlerfrei anlegen und nachvollziehen können, wie Daten weiterverarbeitet werden.
Gerade weil kleine Fehler in der Automatisierung, etwa falsch definierte Trigger, erhebliche Auswirkungen haben können, braucht es sehr gutes technisches und prozessuales Verständnis. Wer Marketing Automation betreut, muss in der Lage sein, sowohl mit der eigenen IT als auch mit externen Dienstleistern oder Agenturen auf Augenhöhe zu diskutieren und systemische Zusammenhänge zu durchdringen. Ein waches Auge für Datenqualität ist ebenso Pflicht.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit externen Agenturen, insbesondere im Spannungsfeld zwischen Kreativität und Technik?
Das Spektrum an Agenturleistungen wird zunehmend differenziert. Während früher Kreativagenturen oft den Ton angaben, gibt es heute spezialisierte Agenturen für technische Beratung, Systemintegration oder Data Analytics, die einen völlig anderen Schwerpunkt haben.
Wir legen Wert darauf, technisches Know-how und die wichtigsten Marketingfähigkeiten intern aufzubauen – gerade, weil unsere Produkte und Zielgruppen sehr speziell sind und so ein tiefes Verständnis voraussetzen. Bei Engpässen oder punktuellem Spezialwissen, wie etwa bei neuen Funktionalitäten im CRM, greifen wir aber auch gezielt auf externe Unterstützung zurück. Agenturen werden für uns zunehmend Technologiepartner, die beratend und ausführend tätig sind, während kreative Inhalte und Themen stark bei uns im Team bleiben.
Wie messen Sie konkret den Erfolg von Marketing-Automation im Unternehmen?
Natürlich schauen wir auf klassische Marketingmetriken wie Öffnungsraten, Click-Through-Rates oder die Conversion Rate von Kampagnen. Doch Marketing Automation bei uns ist weit mehr als eine Einzelauswertung. Sie entfaltet ihren Mehrwert, wenn die angeschlossenen Prozesse reibungslos laufen, also wenn ein Lead, der online gewonnen wurde, im System korrekt erkannt und möglichst effizient an die oder den richtigen Vertriebsmitarbeitende:n weitergeleitet wird. Dazu messen wir beispielsweise die Bearbeitungszeiten solcher Aufgaben, setzen neue KPIs wie «Time-to-Follow-up» und überprüfen, ob die vorgegebenen Benchmarks eingehalten werden.
Wichtiger noch: Im Maschinen- und Anlagenbau, wo Kaufentscheidungen komplex und langfristig sind, zählt für uns die Kundenzufriedenheit als zentraler Erfolgsfaktor. Erst, wenn Kunden nicht nur eine Maschine kaufen, sondern diese auch reibungslos läuft und sie mit dem Service zufrieden sind, ist das für uns ein Erfolg. Auch das beeinflussen wir als Marketing gemeinsam mit After-Sales und Vertrieb durch gute Prozesse.
Gab es einen Moment, in dem Sie besonders gespürt haben, dass Marketing-Automation wirklich funktioniert?
Ja, diese Momente gibt es, doch sie müssen gar nicht spektakulär sein. Ein Beispiel ist eine klassisch aufgesetzte Reminder-Kampagne, bei der automatisiert nur diejenigen Empfänger einen Reminder erhalten, die beim Initialmailing nicht reagiert haben, und genau diese Segmentierung einwandfrei läuft. Oder, wenn ein Vertriebsmitarbeiter in Echtzeit erkennt, dass ein Kunde, mit dem er in Kontakt steht, auf eine bestimmte Kampagne reagiert hat, und dies für das nächste Gespräch nutzen kann. Solche kleinen, aber spürbaren Verbesserungen im Zusammenspiel von Marketing Automation und Vertrieb sind echte Erfolgsmomente. Und nicht zuletzt ist es sehr befriedigend zu sehen, wenn Workflows auch dann automatisiert weiterlaufen, wenn man selbst beispielsweise im Urlaub ist.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz im Rahmen Ihrer Automatisierungsstrategie? Was sind Chancen und Grenzen?
KI ist heute immer häufiger schon in den großen CRM-Systemen standardmäßig eingebaut und bietet Werkzeuge für die Erkennung von Mustern, automatisierte Textvorschläge oder Datenanreicherung. Wir prüfen jedoch sehr sorgfältig, an welchen Stellen KI wirklich Mehrwert schafft.
Bei uns ist beispielsweise Stammdatenmanagement sehr wichtig: Es gibt oft mehrere Adressen pro Kunde – Rechnungs-, Liefer- und Maschinenstandortadresse. Wenn eine KI nur «theoretisch» die plausibelste auswählt, kann sie eine wichtige, sorgfältig geprüfte Adresse überschreiben. Deshalb gilt für uns: KI kann unterstützen, aber immer nur in Kombination mit menschlicher Kontrolle und Reflexion. Besonders in kreativen Bereichen, wie etwa bei spezifischen Werbetexten für erklärungsbedürftige Produkte, lege ich weiterhin Wert auf persönliche Handschrift und Authentizität.
Was sind Ihrer Erfahrung nach typische Stolpersteine bei der Einführung und im laufenden Betrieb der Marketing Automation?
Einer der größten Stolpersteine ist die Überforderung durch die enorme Funktionsvielfalt moderner Tools. Es wird im Marketing oft suggeriert, ein neues System mache plötzlich alles «von selbst». In der Realität sind das allerdings umfangreiche IT-Projekte, die gut konzipiert und betreut werden müssen. Außerdem ist die interne Kommunikation nicht zu unterschätzen. Je mehr Abteilungen involviert sind, desto wichtiger wird es, regelmäßig und verständlich zu kommunizieren, was passiert und warum. Mein Rat ist daher, immer mit einem klaren, tragfähigen Konzept zu starten, sich auf das zu fokussieren, was für das Unternehmen wirklich relevant ist, und Schritt für Schritt auszubauen.
Gibt es einen abschließenden Tipp, den Sie anderen Unternehmen für den Start mit Marketing Automation mitgeben möchten?
Unterschätzen Sie nicht, wie wichtig die Vorbereitung und das Verstehen Ihrer eigenen Prozesse sind. Modellieren Sie Ihre Customer Journey, verstehen Sie die Herausforderungen in Vertrieb, Service und Marketing wirklich tiefgründig – am besten durch Interviews, Workshops und offene Gesprächsrunden. Binden Sie möglichst früh alle relevanten Stakeholder ein, vermeiden Sie Insellösungen und setzen Sie auf regelmäßige Trainings- und Austauschformate. Beginnen Sie lieber mit einem überschaubaren, aber tragfähigen Workflow, und wachsen Sie dann systematisch weiter. Automatisierung ist ein echter Change-Prozess, der Zeit und Change-Management erfordert und keine einmalige Software-Einführung. Aber die investierte Zeit zahlt sich aus. Sie gewinnen Ressourcen zurück, können effizienter arbeiten und haben den Rücken frei für neue, kreative Aufgaben.
Dieses Interview basiert auf dem Podcast Meikes Raumzeit, Episode 55 «Marketing Automation als Change-Prozess»

Meike Tarabori
Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.