In der modernen Kundeninteraktion spielt Vertrauen eine zentrale Rolle. Technologische Exzellenz allein reicht nicht mehr aus; Systeme müssen nachvollziehbar und menschlich erfahrbar sein. Experten betonen, dass Vertrauen durch Transparenz und Kontext entsteht, nicht durch Komplexität. KI-Modelle, die in verschiedenen Regionen zugänglich sind, zeigen, wie Technologie demokratisiert werden kann. Die Rolle des Menschen verschiebt sich von der Anwendung zur Gestaltung von Algorithmen. Sichtbare Prozesse, wie der «Labor-Effekt», stärken das Vertrauen in digitale Services. Ehrliche Kommunikation über den Einsatz von KI ist entscheidend, um nachhaltiges Vertrauen zu schaffen.
Meike Tarabori berichtet live von der Zendesk Relate 2025 in Las Vegas
In einer Zeit, in der technologische Möglichkeiten nahezu unbegrenzt erscheinen, verschiebt sich die zentrale Frage: Nicht mehr nur was Systeme leisten können, sondern wie sie von Menschen wahrgenommen und akzeptiert werden. Die Zukunft der Kundeninteraktion und Zusammenarbeit wird nicht allein durch technische Exzellenz entschieden, sondern durch einen unscheinbaren, aber entscheidenden Faktor: Vertrauen.
Dr. Miguel Luengo-Oroz, Chief Data Scientist bei den United Nation und Experte für KI mit Schwerpunkt auf gesellschaftlichen Nutzen und Gesundheitswesen, beschreibt genau dieses Spannungsfeld. Denn auch wenn Produkte und Lösungen stetig besser werden, bedeutet das nicht automatisch, dass sie den steigenden Erwartungen der Nutzer:innen gerecht werden. Der Anspruch an Technologie hat sich verändert: Es reicht nicht mehr, dass etwas funktioniert. Es muss nachvollziehbar, zugänglich und menschlich erfahrbar sein.
Demokratisierung von Technologie
Luengo-Oroz arbeitet mit seinem Team an KI-Modellen, die mikroskopische Bilder analysieren können – etwa zur Diagnose von Blut- oder Infektionskrankheiten. Die Besonderheit liegt nicht allein in der diagnostischen Präzision, sondern in der Zugänglichkeit: Ein Smartphone auf einem einfachen Mikroskop genügt, um die Technologie auch in Regionen mit eingeschränkter Infrastruktur nutzbar zu machen. So wird dieselbe Lösung in Spanien, den USA, Äthiopien oder Kolumbien eingesetzt. Diese Demokratisierung von Technologie zeigt, dass Vertrauen nicht durch Komplexität entsteht, sondern durch Relevanz und Kontext.
Dabei verschiebt sich auch die Rolle des Menschen im Zusammenspiel mit Technologie. Wir werden, so Luengo-Oroz, zu Regisseur:innen von Algorithmen, nicht zu ihren blossen Anwender:innen. Das bedeutet Verantwortung – und den Auftrag, Systeme zu schaffen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und nicht umgekehrt.
Er kritisiert in diesem Zusammenhang auch die herkömmlichen Denkweisen in der Datenverarbeitung die vielfach in starren Zyklen und isolierten Parametern – oder auch Abteilungen – operieren. Stattdessen plädiert er für einen interdisziplinären – oder gar antidisziplinären – Zugang. KI zwinge uns dazu, die Grenzen klassischer Fachbereiche zu überschreiten. In Projekten analysiert sein Team kreative Faktoren, die zwischen den Disziplinen liegen. Ziel ist es, alle relevanten Daten um Personen oder Organisationen herum zusammenzuführen, um fundiertere und ganzheitlichere Entscheidungen zu ermöglichen. Gerade in dieser Entwicklung liege eine neue Rolle für Menschen: als gestaltende Instanzen in einem komplexen Zusammenspiel von Technologie, Daten und menschlichem Urteil.
Domino’s Pizza Tracker
Eine ganz praktische Perspektive auf das Thema Vertrauen bietet der Harvard Business School Professor Michael Norton. In seinem Vortrag zeigt er, dass es nicht nur darauf ankommt, was ein System tut, sondern wie sichtbar diese Tätigkeit ist. Ein scheinbar banales Beispiel: der Domino’s Pizza Tracker. Obwohl er kaum neue Informationen liefert, verbessert er das Kundenerlebnis, weil er Schritte der Kundenbestellung sichtbar macht. Das Gefühl, dass «etwas für mich getan wird», steigert die subjektive Qualität – auch wenn das Ergebnis am Ende dasselbe ist.
Dieser Effekt lässt sich auf zahlreiche digitale Services übertragen. Ob bei Reisesuchmaschinen, Hypothekenportalen oder beim Online-Dating: Wenn Nutzer:innen sehen, welche Schritte ein System im Hintergrund durchführt, empfinden sie den Service als gründlicher, vertrauensvoller und wertschätzender. Norton nennt dies den «Labor-Effekt»: Arbeit, die sichtbar wird, schafft Vertrauen. Und genau das ist in der Interaktion mit KI-Systemen entscheidend.
Besonders relevant wird dieser Gedanke, wenn es darum geht, wie KI gegenüber Nutzer:innen positioniert wird. Norton zeigt anhand von Studien: Wenn Menschen wissen, dass ein KI-System für analytische Aufgaben wie Zahlenanalyse eingesetzt wird, akzeptieren sie es eher. Wird hingegen die soziale Komponente betont, etwa bei der Auswahl eines Mathelehrers oder Steuerberaters, bevorzugen sie den menschlichen Kontakt. Klare Rollenverteilungen zwischen Mensch und Maschine – und eine ehrliche Kommunikation darüber, wo KI eingesetzt wird und wo bewusst nicht – sind folglich zentrale Elemente für nachhaltiges Vertrauen.
Gefahr der falschen Transparenz
Dabei warnt Norton ausdrücklich vor falscher Transparenz. Künstlich erzeugte Tastaturgeräusche oder simulierte Aktivität können Vertrauen massiv schädigen. Stattdessen braucht es echte, nachvollziehbare Visualisierung. Wenn Menschen verstehen, was im Hintergrund passiert – etwa im Wartezimmer einer Klinik oder bei der Bearbeitung eines Behördenvorgangs – steigt nicht nur das Verständnis, sondern auch die Akzeptanz.
Beide Perspektiven verdeutlichen: Vertrauen ist keine Folge technologischer Leistungsfähigkeit, sondern entsteht durch Beziehung, Transparenz und Respekt. Es geht nicht darum, KI menschlich wirken zu lassen. Es geht darum, sie in menschliche Kontexte einzubetten, nachvollziehbar zu machen und sie so einzusetzen, dass sie den Menschen dient. Die Kundeninteraktion der Zukunft wird deshalb nicht an der Grenze des Machbaren entschieden, sondern an der Schnittstelle zwischen Sichtbarkeit, Sinn und menschlichem Mass.
Für Unternehmen bedeutet die Zukunft der Kundenbeziehung folglich nicht mehr nur, Prozesse zu automatisieren oder technologische Spitzenleistungen zu erzielen. Es geht darum, Vertrauen aktiv mitzudenken – als strategischen Erfolgsfaktor und als zentrales Gestaltungsprinzip. Dies gelingt dann, wenn Systeme nicht nur funktionieren, sondern auch erklären, was sie tun. Wenn Kunden nicht nur Ergebnisse sehen, sondern verstehen, wie diese zustande kommen. Und wenn Technologie so gestaltet ist, dass sie Menschen nicht ersetzt, sondern befähigt. Wer Transparenz schafft, Rollen klar definiert und digitale Prozesse sichtbar macht, gewinnt nicht nur Akzeptanz – sondern Loyalität. Vertrauen entsteht dort, wo Technik nicht nur intelligent, sondern nachvollziehbar und respektvoll eingesetzt wird.

Meike Tarabori
Im Januar 2019 übernahm Meike Tarabori die Position als Chefredakteurin des cmm360, das renommierte Schweizer Magazin für Customer Relations Stars und Service Champions. Als erfahrene Expertin für Marketing und Kommunikation mit Abschlüssen in Business, Marketing und deutscher Literatur hat sie wertvolle Erfahrungen unter anderem bei Unternehmen wie KUKA Robotics und zuletzt beim Cybathlon ETH Zürich gesammelt. Im Rahmen eines umfangreichen Rebranding-Projekts verlieh sie dem cmm360 seine aktuelle, moderne Ausrichtung. Seitdem hat sie nicht nur die Onlinepräsenz des Magazins erfolgreich etabliert, sondern kontinuierlich neue Formate wie die Podcasts «Nice To Meet You», «Meike's Raumzeit» und «ICT Talk» entwickelt. Darüber hinaus fungiert sie als Organisatorin des Schweizer Customer Relations Awards, eine Plattform, die innovative Projekte zur Gestaltung nachhaltiger Kundenbeziehungen und einzigartiger Kundeninteraktionen würdigt und auszeichnet.