Die Robotik steht vor einem Wendepunkt: Durch neue KI-Methoden erhalten Maschinen mehr Autonomie, Flexibilität und Interaktionsfähigkeit. Expert:innen sprechen von einer «dritten Welle» der Künstlichen Intelligenz, in der physische Roboter Aufgaben zunehmend selbstständig lösen und dabei kontextsensitiv handeln. Während humanoide Roboter als Showcases fungieren, entstehen die echten Innovationen oft im industriellen Bereich. Die Verbindung von KI und Robotik gilt als entscheidender Schritt hin zu intelligenter, proaktiver Automatisierung im Alltag und in der Produktion.
«Im Moment sind wir an einem Wendepunkt in der Robotik», zitiert Tagesspiegel Background den Professor für Robotik und KI, Wolfram Burgard, der gerade ein neues Institut an der TU Nürnberg aufbaut. Begründung seiner Einschätzung: Die neuen KI-Methoden beschleunigen auch die Entwicklung von Robotern und erweitern deren Möglichkeiten.
«Angesichts der laufenden Entwicklungen in der Robotik, die durch den bedeutenden Fortschritt in modernen KI-Techniken angetrieben werden, erscheint es durchaus angemessen, von einer «dritten Welle» der Künstlichen Intelligenz zu sprechen», stellt auch der deutsche KI-Experte Prof. Marco Barenkamp, Gründer der auf KI-Entwicklungen spezialisierten Osnabrücker LMIS AG fest. Er sieht in dieser «dritten Welle» der KI eine logische Konsequenz, da sie Verhalten, Interaktion und Autonomie bei der täglichen Problemlösung kombiniert. «Beispiele zeigen, dass die dritte Welle nicht einfach darin besteht, Gedanken in materielle, aktive Handlungen umzusetzen, sondern auch autonome, clevere Operationen in digitalen Umgebungen durchzuführen», erklärt Prof. Barenkamp.
Roboter-Pressekonferenz
Einer der in der Bevölkerung bekanntesten humanoiden Roboter dürfte wohl der «Terminator» sein, die von Arnold Schwarzenegger gespielte menschenähnliche Killermaschine aus der gleichnamigen Filmreihe. Von deren Sci-Fi-Fähigkeiten sind die aktuellen KI-basierten Roboter zwar noch meilenweit entfernt, doch die führenden Technologiekonzerne dieser Welt melden in immer kürzeren Abständen neue Entwicklungsschritte ihrer humanoiden Roboter. Dabei sind Konstruktionen wie jener Roboter, der bei der vergangenen Hannover Messe Liegestützen vorführte, ebenso öffentlichkeitswirksame Show-Effekte, wie die berühmte Pressekonferenz von Robotern mit menschlichem Aussehen am Sitz der UNO in New York im Jahr 2023. Doch sie demonstrieren, was die Kombination Robotik und KI derzeit schon möglich macht.
«Die erste Welle der KI, die durch prädiktive Systeme oder Maschinen geprägt ist, durch Extraktion von Erkenntnissen aus Daten, um intelligente Vorhersagen zu treffen, wurde durch die zweite Welle ergänzt, also jene generativen Modelle, die neue Inhalte, Kommunikation und Ideen erzeugen und durch ChatGPT auch die breite Gesellschaft erreichte», berichtet Professor Barenkamp. Und nun ist eben die dritte Welle die logische Folge, befindet er. «Beispiele zeigen, dass die dritte Welle nicht einfach darin besteht, Gedanken in materielle, aktive Handlungen umzusetzen, sondern auch autonome, clevere Operationen in digitalen Umgebungen durchzuführen», betont der Unternehmer und Berater und verweist dabei auf sein im Mai erscheinendes Buch «Wertschöpfung durch KI – Chancen für Unternehmen und Gesellschaft». Online ist das Buch schon bei Springer unter diesem Link freigeschaltet.
Beispiele für solche KI-Roboter nennt auch die Fraunhofer-Gesellschaft: Demnach kann etwa «Figure 2» aus den Tech-Laboren des US-amerikanischen Softwareunternehmens OpenAI sprechen und Geschirr in die Spülmaschine räumen. «Atlas» von Boston Dynamics beherrscht Saltos und durchläuft selbst schwierige Parcours, wie die Forschungs-Organisation berichtet. Und der «Armar-7», kreiert vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) als Support im Alltag, kann Türen öffnen, mit Menschen interagieren und kleine Mahlzeiten zubereiten. Diese Erfolge lassen die Erwartungen der Öffentlichkeit an KI-basierte Robotik steigen, konstatieren die Fraunhofer-Forscher. Bei manchen Visionären höre es sich bereits so an, als wäre das «Terminator»-Zeitalter längst angebrochen, kommentieren die Wissenschaftler.
«Echte Innovationen sind weniger sexy»
Doch viele Fraunhofer-Experten sehen dies anders, wie die Organisation erklärt. «Entwicklungen wie der Optimus von Tesla schaffen natürlich Aufmerksamkeit. Doch die eigentlichen Innovationen entstehen woanders. Ein Schweißroboter mag nicht so sexy sein wie Optimus, spielt aber in der industriellen Produktion schon heute eine sehr viel größere Rolle», macht etwa Dr.-Ing. Werner Kraus, Leiter des Forschungsbereichs Automatisierung und Roboter am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, deutlich. «Wir haben große und berechtigte Zweifel, dass die humanoiden Roboter in den nächsten zwei bis fünf Jahren wesentlich zur Wertschöpfung beitragen werden», gibt er zu bedenken.
Trotzdem führt auch für Kraus kein Weg an smarten Robotern vorbei: Denn KI braucht Robotik – und Robotik braucht KI, betont der Mechatronik-Ingenieur für die Fraunhofer-Gesellschaft. Hier komme zusammen, was sich perfekt ergänzt, erläutert Kraus: Der Roboter besaß bislang nicht die nötige Intelligenz, um mehr als nur einen festen Satz einprogrammierter Bewegungen auszuführen. Der Künstlichen Intelligenz wiederum fehlte der Körper, um in der realen Welt aktiv zu werden. «Die Vision ist, dass der Roboter irgendwann mitdenkt und proaktiv tätig wird», fasst der Forscher zusammen. Bislang seien seine Kollegen und er allerdings schon froh, «wenn wir dem Roboter eine gewisse Flexibilität bei der Aufgabenbewältigung verleihen können – etwa, um auch Gegenstände korrekt zu greifen, die er vorher noch nie gesehen hat», räumt er ein.
Ein wesentliches Problem bei humanoiden Robotern besteht demnach darin, ihnen Fähigkeiten zu vermitteln, die Menschen unglaublich simpel erscheinen. Dazu zitiert die Fraunhofer-Gesellschaft den kanadischen Wissenschaftler Hans Moravec mit der Aussage: «Es ist vergleichsweise leicht, Computer dazu zu bringen, Leistungen auf Erwachsenenniveau bei Intelligenztests oder beim Dame-Spiel zu erbringen – und schwierig bis unmöglich, ihnen die Fähigkeiten eines Einjährigen in Bezug auf Wahrnehmung und Mobilität zu vermitteln.»