Die digitale Transformation verändert Kundenbeziehungen grundlegend. Während Grossunternehmen systematisch Kundendaten sammeln und Prozesse automatisieren, verlieren persönliche Interaktionen oft an Echtheit. Der Balanceakt zwischen Effizienz und vertrauensbildender Kommunikation wird zur zentralen Herausforderung. Denn Kundenbedürfnisse werden nicht nur digital gelöst – echte Zufriedenheit entsteht im emotionalen Dialog. Unternehmen sollten gezielt in Kommunikation, Handlungsspielräume und eine vernetzte Gestaltung ihrer Kundenschnittstellen investieren, um Vertrauen aufzubauen und langfristige Kundenbindungen zu sichern.
Die digitale Transformation und der Einsatz von KI, AI & Co nimmt spürbar Fahrt auf. Ein guter Zeitpunkt für einen Perspektivenwechsel. Einerseits sind KMU gefordert, mit den raschen Entwicklungsschritten mitzuhalten. Andererseits stehen Grossunternehmen bereits vor der Herausforderung, durch technische Prozessoptimierungsmassnahmen nicht den wichtigsten Handlungsspielraum ihrer Mitarbeitenden für persönliches, vertrauensförderndes Kundenbeziehungsmanagement aufs Spiel zu setzen. Denn sie sind es letztlich, die den Unterschied in der echten Kundenbeziehung machen.
Den Dialog führen
Grossunternehmen erheben systematisch mehr Kundendaten als KMU (bei Verhaltensdaten sind es z. B. 57.1% gegenüber 35.2% bei KMU1). Getrieben vom Trend, von Kunden möglichst viele auswertbare Transaktions- und Verhaltensdaten für kommerzielle Zwecke zu sammeln, erhält der Begriff «Kundenbeziehung» im digitalen Kontext eine neue Bedeutung. Der Kunde realisiert zunehmend, dass Unternehmen seine Gewohnheiten und Bedürfnisse oft besser kennen als er selbst. Das kann sich positiv auf die Angebotsgestaltung und Kundenbeziehung auswirken, ohne geführten Dialog aber auch Skepsis auslösen.
Ausmass der Prozesssteuerung
Viele persönliche Interaktionen z. B. für den standardisierbaren Informationsaustausch, Terminvereinbarungen, Bestellungen etc. sind heute automatisiert und im Self-Service-Beziehungsmodus gelandet. Systemisch gesteuerte Prozessoptimierungen bringen zweifelsohne viele Vorteile, um z. B. die Effizienz zu steigern und Kosten einzusparen. Doch in welchem Masse ist die Steuerung im persönlichen Kundenkontakt sinnvoll und wo ist sie hinderlich?
Mensch oder Maschine?
Zunehmend berichten Kunden und Mitarbeitende z. B. von unbefriedigenden und unnatürlichen Gesprächssituationen. Mitarbeitende, die zwar am Telefon super freundlich sind, jedoch durch starke Prozesssteuerung wenig Spielraum in der Gesprächsführung haben und eingeübte Sätze wie «kann ich sonst noch etwas für Sie tun» mit der Zeit nicht mehr authentisch rüber bringen, wirken oft künstlich und unnahbar. Nebst der Tatsache, dass Mitarbeitende in dieser Situation viel Eigenmotivation bräuchten, verfehlen diese Art persönlicher Kontakte leider oft das wirkliche Ziel, nämlich Sicherheit zu geben und Vertrauen zum Kunden aufzubauen.
Ist das traditionell auf Vertrauen aufgebaute Beziehungsmanagement ein Auslaufmodell?
Die sechs Treiber der Customer Experience Excellence2 Integrität, Problemlösungskompetenz, Erwartungen, Zeit und Aufwand, Personalisierung und Empathie zeigen auf, dass der Vertrauensfaktor speziell im persönlichen Kundenkontakt nach wie vor eine elementare Rolle spielt und dem entsprechend Sorge getragen werden sollte.
Vertrauen aufbauen – Sicherheit und Orientierung geben
Aus verschiedenen Kundenumfragen wird klar; wenn man Kunden wirklich «loswerden» möchte, schafft man das salopp gesagt mit ungenügender Produktqualität und unfairen Preisen. Der Hauptgrund für unzufriedene Kunden liegt jedoch meist in der Haltung und Kommunikation.
Das heisst, der Kunde erlebt in der persönlichen Interaktion
- die Haltung fehlender Wertschätzung
- das Gefühl nicht richtig ernst genommen zu werden
- nicht verstanden zu werden
- keine bedürfnisgerechten Alternativlösungen zu erhalten
- Verunsicherung
Folgende Themen stehen deshalb zurzeit bei Kommunikationstrainings hoch im Kurs:
- Einstellung «ich bin hier, um zu helfen»
- Versprechen einhalten
- Richtig Fragen stellen
- Aktiv Zuhören
- Positive, lösungsorientierte Sprache – sagen was geht
- Erwartungen typengerecht managen
- Ein «NEIN» anschlussfähig und nachvollziehbar für den Kunden herleiten
Trainings sind zwar hilfreich, sollten aber strategisch und zielgerichtet im Unternehmen eingebunden sein.
Gesamtbetrachtung der Kundenschnittstellen als Chance
Gute Kundenbeziehungen und Kundenzufriedenheit entsteht bekanntlich, wenn das Kundenbedürfnis möglichst einfach, schnell und verlässlich gelöst wird. D. h. Kunden wollen immer den besten Service, egal ob digital oder persönlich. Aus der Kundenperspektive würde dies bedeuten, dass nicht nur Systembrüche gut gemanagt sind, sondern auch eine persönliche Kontaktaufnahme bei spezifischen Fragen einfach möglich ist.
Ein Praxisbeispiel mit Potential:
Was, wenn ein Kunde/eine Kundin z. B. auf der Website eine spezifische Frage bei einem Problem zwecks fehlender Kontaktmöglichkeit unter den «Q&A – frequently asked questions» selbst suchen muss und nicht findet? Und was, wenn auch der Chatbot beim Anliegen nicht weiterhelfen kann und nur auf das Online-Kontakt-Formular verweist. Und wie fühlt sich der Kunde/die Kundin, wenn er/sie dann zum Schluss noch aufgefordert wird ein Feedback abzugeben, wie zufrieden er/sie mit diesem Service ist?
In der sorgfältigen Betrachtung des Gesamtsystems und Verbindung von Kundenschnittstellen (digitale und persönliche Touchpoints) stecken durchaus noch einige Chancen, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und Kundenbeziehungen zu stärken.
Fazit
Kundenanliegen werden zwar rational auf der Sachebene gelöst. Die Zufriedenheit der Kundenbeziehung entscheidet sich allerdings auf emotionaler Ebene. Gut gemanagte Systembrüche der Kundenschnittstellen, Handlungsspielräume und Entscheidungskompetenzen in der Gesprächsführung sowie gezielte Kommunikationstrainings sind wirkungsvolle Massnahmen.

Petra Rüegg
Petra Rüegg ist Gründerin und Geschäftsführerin von QPM Service Excellence. Sie hat sich auf Themen der Servicekultur und Service-Excellence in der digitalen Welt spezialisiert und bietet Analyse-Methoden und Trainings an, um die Profitabilität durch den laufenden Verbesserungsprozess des Service-Mindsets im Unternehmen zu steigern. Sie ist beratend und im Leadership-Coaching tätig sowie unter anderem Dozentin für Unternehmenskultur, Führung und Kommunikation an der ABB Technikerschule. www.qpm-ms.ch