Extreme Hitze trifft Städte besonders hart, da Beton und Asphalt die Wärme speichern und nachts wieder abgeben. Forscher der Universität Freiburg und des KIT haben nun ein KI-Modell entwickelt, das die künftige Hitzebelastung pro Quadratmeter vorhersagen kann. Anhand von Freiburger Stadtgebieten simulierten sie verschiedene Klimaszenarien bis zum Jahr 2099 und zeigten, wie stark Bebauung, Vegetation und Luftzirkulation die Belastung beeinflussen. Damit eröffnet sich für Städte die Chance, passgenaue Massnahmen gegen urbane Hitzeinseln zu planen und die Bevölkerung wirksam zu schützen.
Besonders die Menschen in den Städten leiden unter extremer Hitze. Wissenschaftler sprechen von «urbanen Wärmeinseln» aufgrund der dichten Bebauung: Weil Asphalt und Beton die Hitze tagsüber speichern, um sie nachts wieder abzugeben. So steigen die Temperaturen in den Cities stärker an als im Umland, was zu einem Gesundheitsrisiko insbesondere für Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen führt. Deshalb fordern Experten immer nachdrücklicher, den Hitzebelastungen in den Städten konsequenter entgegenzuwirken.
Ein neues, von der Universität Freiburg und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickeltes KI-Modell ermöglicht es nun erstmals, zu berechnen, wie sich die Hitzebelastung einer Stadt zukünftig pro Quadratmeter entwickeln wird. Das Modell könne Städte bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen und Impulse bieten für eine klimagerechte Stadtplanung, erklären die Wissenschaftler zu ihren Forschungsergebnissen. Am Beispiel der Stadt Freiburg simulierten sie drei verschiedene Klimaszenarien für den Zeitraum von 2070 bis 2099 und zeigen damit die Entwicklung von Hitzestunden in Bezug zur Stadtstruktur auf.
Hitzeentwicklung «vor der Haustür»
«Mit unserem KI-Modell können wir die Hitzeentwicklung in Freiburg buchstäblich vor jeder Haustür analysieren», erläutert Prof. Dr. Andreas Christen, Umweltmeteorologe an der Universität Freiburg, das Besondere an der Freiburger KI-Entwicklung. Da jede Stadt mit ihrer Bebauung, Begrünung und Lage ganz eigene Strukturen aufweise, sei es entscheidend, die Hitzebelastung so detailliert wie möglich zu berechnen, verdeutlicht Prof. Christen. «Denn nur so lassen sich passgenaue Maßnahmen entwickeln, die Menschen besser vor extremer Hitze schützen.» Nach einer Validierung und Anpassung an spezifische städtische Gegebenheiten, könne ihr Modell auf jede andere Stadt angepasst und angewandt werden, versichern die Freiburger Forscher.
«Künstliche Intelligenz kann uns heute schon dabei helfen, den Klimawandel greifbarer zu machen», bestätigt auch der deutsche KI-Experte Prof. Dr. Marco Barenkamp. Ein Modell wie das Freiburger zeige, wie man die zukünftige Hitzebelastung in Städten jetzt sogar metergenau prognostizieren könne, hebt der Gründer und stellvertretende Aufsichtsratschef der auf KI-Entwicklungen spezialisierten Osnabrücker LMIS AG hervor. Für die Stadtplanung bedeute dies, dass es nicht mehr nur «mehr Bäume» oder «weniger Beton» geben müsse. Vielmehr werde die Wirkung einzelner Maßnahmen konkret an einem gewissen Ort bestimmbar gemacht. «Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten», konstatiert Prof. Barenkamp.
Das von dem interdisziplinären Forschungsteam der Universität Freiburg und des Karlsruher KIT entwickelte KI-Modell könne erstmals hochauflösend und über lange Zeiträume berechnen, wie sich die Hitzebelastung in einem Stadtgebiet künftig tatsächlich pro Quadratmeter entwickeln wird, berichtet die Hochschule im Breisgau. Freiburg diente den Forschenden dabei als Pilotstadt für ihr Modell. Das KI-System kombiniert dabei Geodaten wie Gebäudehöhen und Vegetationsstrukturen mit Wettervorhersage- oder Klimaprojektionsdaten wie Lufttemperatur oder Strahlung. So soll das Modell für die Prognose verschiedener Klimaszenarien eingesetzt werden können: von einem Klima, das sich bei starkem Klimaschutz weniger stark erwärmt, bis hin zu einem deutlich wärmeren Klima bei sehr hohen Treibhausgasemissionen.
Klimabelastung steigt in Freiburg zukünftig an
Mithilfe des KI-Modells simulierten die Forschenden das zukünftige Freiburger Stadtklima für den Zeitraum 2070 bis 2099 in Form von drei Szenarien. In der pessimistischsten Annahme sollen pro Jahr tagsüber bis zu 307 Stunden mit starker Hitzebelastung über 32°C gefühlter Temperatur möglich sein. Zum Vergleich: In der Referenzperiode zwischen 1990 bis 2019 waren es 135 jährlich. Die Stundenanzahl mit sehr starker Hitzebelastung über 38°C gefühlter Temperatur könnte sogar um das Zehnfache steigen, errechneten die an dem Projekt beteiligten Wissenschaftler: auf 71 Stunden pro Jahr im Zeitraum 2070 bis 2099, verglichen mit sieben Stunden jährlich in der Referenzperiode. Im Szenario mit der geringsten Erwärmungsentwicklung sollen die Stunden unter starker Hitzebelastung auf jährlich 149 ansteigen. Die Anzahl der Stunden mit sehr starker Hitzebelastung beläuft sich in diesem Szenario auf zwölf Stunden.
Allerdings wirkt sich die Hitzebelastung innerhalb einer Stadt auch unterschiedlich aus, wie Dr. Ferdinand Briegel, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe «Regionales Klima und Wettergefahren» am Institut für Meteorologie und Klimaforschung des KIT, ausführt. «Faktoren wie Bebauungsdichte, Vegetation und Luftzirkulation entscheiden darüber, ob ein Bereich vergleichsweise kühl bleibt oder sich extreme Hitze staut», sagt er. In der Studie wurde die Hitzebelastung anhand repräsentativer Stadtgebiete Freiburgs in Form eines Industriegebiets, einem Wohngebiet mit altem Baumbestand und der historischen Innenstadt mit mittelhohen Gebäuden und geringer Vegetation gemessen.
Vorsorge statt Schadensbegrenzung
Wie die Studie zeigt, steigen die Hitzestunden tagsüber besonders in Industriegebieten stark an, da dort eine hohe Versiegelung und wenig Verschattung vorherrschen. Dicht bebaute Gebiete mit altem Baumbestand hingegen sorgen durch Schattenbildung tagsüber für einen geringeren Anstieg der Hitzestunden. «In der Nacht bremst diese Bebauungs- und Baumstruktur jedoch das Auskühlen und hält die Wärme länger fest», schränkt Briegel in Bezug auf die Ergebnisse der Untersuchung ein.
Als eine weitere Erkenntnis der Freiburger Studie ist hervorzuheben, dass KI wesentlich dazu beitragen kann, notwendige Anpassungen an den Klimawandel erfolgversprechend zu berechnen und zu planen. Gerade im Umgang mit Extremwetterlagen könne KI einen entscheidenden Beitrag leisten, betont auch Prof. Barenkamp. «Denn mit ihr können wir erstmals sinnvoll große Datenmengen analysieren, Muster erkennen und Risiken frühzeitig sichtbar machen», begründet er seine Einschätzung. Dabei denkt er nicht so sehr an Versicherungen, die steigende Kosten durch Naturgefahren einkalkulieren müssen, als vielmehr an die Kommunen, die ihre Bevölkerung schützen wollen. «Künstliche Intelligenz wird hier meines Erachten zu dem wichtigen Vorsorgeinstrument», ist sich der KI-Fachmann sicher.
ASAI
Die Academic Society for Artificial Intelligence – Studiengesellschaft für Künstliche Intelligenz e.V. ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Hamburg (Fischertwiete 2, 20095 Hamburg). Sie widmet sich der Förderung und dem Austausch im Bereich Künstliche Intelligenz und ist im Vereinsregister unter VR24771 geführt.