In der Formel 1 entscheidet der Bruchteil einer Sekunde über Sieg oder Niederlage. Ruth Buscombe (F1) und Elif Dogan (AWS) geben Einblicke, wie KI, Daten und Storytelling den Sport neu definieren. Von Echtzeit-Analysen über Insights wie «Close to the Wall» bis hin zu Machine-Learning-Systemen, die Emotion in messbare Momente übersetzen: Hier wird Technologie zum Erlebnis. Sie zeigen, wie datengetriebene Entscheidungen, Intuition und Kundenerlebnis verschmelzen – und was Unternehmen von der Formel 1 über Innovation, Effizienz und Geschwindigkeit lernen können.
Ein Gespräch mit Ruth Buscombe, Formel 1 Analystin, Strategin, Moderatorin bei F1TV und AWS Motorsports Ambassadrice, sowie Elif Dogan, Head of Media, Entertainment, Games, Sports, Retail Professional Services bei AWS, über Präzision, Geschwindigkeit und die Kunst, Daten in Emotionen zu verwandeln.
Ruth, Elif, ihr arbeitet beide an der Schnittstelle von High Performance, Technologie und Emotion. Könnt ihr euch bitte vorstellen und beschreiben, wie ihr in eure heutige Rolle gekommen seid?
Ruth Buscombe: Ich bin Strategin bei der Formel 1, arbeite als Analystin und Moderatorin für F1 TV und bin zugleich Motorsports Ambassador und technische Beraterin für AWS. AWS ist unser strategischer Technologiepartner und sorgt dafür, dass die Übertragungen weltweit funktionieren, und sie helfen uns dabei, die «Data Stories» zu erzählen, die Fans auf der ganzen Welt faszinieren. Das heisst, wir entwickeln gemeinsam die Daten-Insights, die Fans im TV sehen: von Geschwindigkeitsanalysen über Boxenstopp-Prognosen bis hin zu Metriken wie «Close to the Wall», die zeigen, wie nah ein Auto in Monaco wirklich an der Wand entlangfährt – oft nur wenige Millimeter.
Mein Weg begann vor 15 Jahren mit einem Studium der Aerothermodynamik in Cambridge, danach Masterarbeit über das DRS, dann Einstieg als Simulation Engineer bei Ferrari, Strategierollen bei Haas und Sauber und nun wieder vereint mit meinem ersten Chef, Stefano Domenicali, heute Präsident und CEO der Formel 1. Es macht extrem viel Spass, innovative Datenstrategien ganzheitlich zu denken und das Storytelling im Motorsport für immer mehr Menschen möglich zu machen. Leidenschaft treibt uns jeden Tag an: die Präzision, die Geschwindigkeit, die Herausforderungen – das ist Motorsport.
Elif Dogan: Ich leite das Media-, Entertainment-, Games- und Sports-Geschäft bei AWS Professional Services. Zuvor war ich im Private Equity und bei Finanzdienstleistern tätig, heute berate ich vor allem internationale Sport-, Entertainment- und Medienorganisationen wie die Formel 1, Bundesliga oder NFL im Hinblick auf Innovationsmanagement und datengetriebener Transformation. Mein Ziel ist es, datenbasierte Geschäftsmodelle so zu übersetzen, dass sie echten Kundennutzen bringen und die technologische Komplexität für die relevanten Stakeholder handhabbar bleibt. Mein Ansatz ist, alle Projekte konsequent von den Kundenbedürfnissen und Fan-Interaktionen rückwärts zu denken.
Ruth, was macht eine gute Datenstrategie in der Formel 1 aus und wie trägt sie zu operativen Entscheidungen bei?
Ruth: Eine gute Datenstrategie bedeutet, die richtigen Daten schnell, zuverlässig und präzise zu identifizieren – jene, die wirklich Entscheidungen beeinflussen. Ein Formel-1-Auto generiert rund 1,1 Millionen Datenpunkte pro Sekunde. Über ein ganzes Rennwochenende entspricht das einem Datenvolumen von rund 1600 gleichzeitig gestreamten Netflix-Filmen. Diese Flut muss nicht nur stabil übermittelt, wie etwa von Melbourne nach Europa, sondern auch in Echtzeit verarbeitet werden, damit Teams, Ingenieure und Kommentatoren sofort reagieren können.
Formel 1 ist dabei auch eine Effizienz-Formel: Alle Teams operieren unter einem strikten Budget Cap. Es geht also darum, mehr zu erreichen mit weniger. Daten und KI sind dabei kein Luxus, sondern eine Überlebensstrategie. Wer Prozesse automatisiert, Analysen beschleunigt oder Entscheidungen präziser trifft, gewinnt Zeit und Ressourcen – und damit das Rennen.
In der Formel 1 geht es um marginale Vorteile: In der Saison 2024 lag der Abstand zwischen dem ersten und dem letzten Platz im Schnitt bei 1,3 Prozent. In Zandvoort entschied ein Vorsprung von 12 Tausendstelsekunden die Pole-Position. Das zeigt: Wer Daten besser nutzt, gewinnt. KI ist längst kein «Nice-to–have» mehr – sie ist Überlebensfaktor im Wettbewerb.
Elif, wie funktioniert dabei die technische Infrastruktur zur Datenerfassung und –auswertung im Hintergrund? Wie wird diese Datenmenge in Echtzeit verarbeitet?
Elif: Wir arbeiten mit der Formel 1 in einem komplexen, aber faszinierenden System: In jeder Rennstrecke gibt es ein sogenanntes Event Technical Center, das Herz der Datenerfassung. Dort werden alle Telemetriedaten in Echtzeit gesammelt, an das «Media and Technology Centre» in Biggin Hill (UK) übertragen – das zentrale Remote Operations Hub der Formel 1 – und über die serverlose Architektur von AWS verarbeitet. Das gesamte System, von der Datenerfassung über Biggin Hill bis zur weltweiten Ausspielung, läuft in weniger als einer Sekunde ab. Diese Geschwindigkeit ist nicht nur beeindruckend, sie ist geschäftskritisch: Verzögerungen würden Entscheidungen im Rennen direkt beeinflussen.
Innerhalb dieser Millisekunden werden Millionen Datenpunkte analysiert, durch Machine Learning-Modelle ausgewertet und in Echtzeit ausgespielt – ob im F1 TV-Livestream, in der Box oder in globalen Broadcasts. Die Herausforderung liegt darin, nicht nur Daten zu erfassen, sondern sie so aufzubereiten, dass sie entscheidungsrelevant und erzählerisch nutzbar werden – für Ingenieure, Kommentatoren und Fans gleichermassen.
Ruth, du hast das Insight «Close to the Wall» erwähnt. Kannst du das als Beispiel erklären?
Ruth: Stell dir das letzte freie Training in Monaco vor, vier Stunden vor dem Qualifying. Wer dort auf der Pole steht, gewinnt meist das Rennen. In dieser Session wollen Fahrer also so nah wie möglich an die Mauer, aber natürlich, ohne sie zu berühren. Früher war das Feedback mühsam: Nach jedem Training sichteten Ingenieure tausende Fotos und Videos, um manuell zu bewerten, wie viel Risiko ein Fahrer einging. Heute passiert das in Echtzeit: Die Daten werden über Hochgeschwindigkeitskameras erfasst, in AWS SageMaker analysiert, mit 75 Jahren F1-Historie kombiniert und via AWS Lambda und DynamoDB ausgewertet. Innerhalb einer Sekunde wissen Fahrer und Team: «Du warst 1,2 cm von der Wand entfernt – perfekt.» Das verändert alles: die Kommunikation, das Feedback, die Risikobereitschaft. Und es macht den Sport sichtbar und spürbar – auch für Zuschauer, die verstehen wollen, was «Präzision» auf dieser Ebene bedeutet.
Bei so vielen Datenpunkten und Analysen – wie viel Raum bleibt da noch für Bauchgefühl und Intuition?
Ruth: Ich sage immer: «Ein Bauchgefühl ist nur ein Large Language Model deiner eigenen Erfahrung.» Am Ende basiert jede Intuition auf Datenpunkten, die du im Laufe der Zeit gesammelt hast, nur eben in deinem Kopf. KI hilft uns, dieses Erfahrungswissen zu ergänzen, zu beschleunigen und zu verfeinern. Es geht nicht darum, Entscheidungen an Maschinen abzugeben, sondern menschliche Intelligenz zu erweitern.
In der Formel 1 gilt: Wir alle arbeiten unter denselben Bedingungen wie Budget-Cap, Ressourcen und Zeit. Wenn du etwas genauer, effizienter oder günstiger umsetzen kannst, verschaffst du dir einen Vorteil. Früher habe ich zum Beispiel unzählige Stunden damit verbracht, manuell Datenbanken über Safety-Car-Phasen zu erstellen. Heute übernimmt das eine KI-gestützte Videoanalyse. Dadurch gewinnen wir Zeit für das, was wirklich zählt: strategisches Denken und kreative Problemlösung. KI ist also kein Ersatz für Intuition – sie ist ihr Verstärker.
Elif: Ein spannendes Beispiel aus der Praxis ist die «Root-Cause-Analysis» im F1-TV-Umfeld. «Root-Cause-Analyse» bedeutet, dass gezielt nach der eigentlichen Ursache eines technischen Fehlers gesucht wird, statt nur die Symptome zu behandeln. Früher konnte diese Suche Stunden oder sogar Tage dauern. Mithilfe von Generative AI und Amazon Bedrock analysieren wir heute Log-Daten und Fehlerprotokolle automatisiert und reduzieren die Lösungszeit um bis zu 86 Prozent. Das zeigt, wie KI ganz konkret die betriebliche Effizienz steigern kann.
Kommunikation scheint dabei genauso wichtig wie Technik. Wie übersetzt ihr Daten in Handlung und Emotion?
Ruth: Formel 1 ist wie jede Organisation: Sie ist customer first. Mein «Kunde» ist manchmal ein Teamchef, manchmal ein Fahrer, manchmal ein Fan. Jeder braucht Daten anders. Ein Fahrer im Cockpit beispielsweise braucht kurze, präzise Anweisungen wie etwa «mehr Risiko», «weniger Risiko». Ein Ingenieur im Analysebüro braucht komplexe Visualisierungen. Und ein Fan am Bildschirm braucht eine Geschichte. Das ist eigentlich wie im Customer Experience Management: Verstehe deinen Nutzer und gib ihm das, was er braucht – im richtigen Moment, im richtigen Format.
Elif: Für uns ist entscheidend, dass Daten Geschichten erzählen. Nach Serien wie «Drive to Survive» ist die Zahl der neuen Fans stark gestiegen und viele davon sind neu im Sport. Mit datengestütztem Storytelling, klar visualisierten Insights und verständlichen Erklärungen holen wir sie emotional ab und machen komplexe Strategien nachvollziehbar. So entsteht echte Fan Experience.
Elif, das klingt nach einer perfekten Parallele zu Customer Interaction. Wie übertragt ihr diese Prinzipien auf andere Branchen?
Elif: In der Formel 1 sprechen wir von Fahrern und Fans. In anderen Branchen von Kund:innen und Mitarbeitenden. In beiden Fällen geht es darum, Technologie in den Dienst der Menschen zu stellen. Bei AWS verfolgen wir einen «Working Backwards»-Ansatz: Wir starten immer mit der Frage «Was will der Kunde oder Fan wirklich erleben?» und entwickeln dann rückwärts die Technologie, die das möglich macht. Dieses Prinzip lässt sich auf jede Branche anwenden – ob Landwirtschaft, Handel oder Finanzwesen. Es geht um Kundenzentrierung, Effizienz und Erlebnisse, die bleiben.
Was kann die Business-Welt von der Formel 1 lernen, wenn es um Innovation und Geschwindigkeit geht?
Ruth: In der Formel 1 lernst du, schnell zu scheitern und noch schneller wieder aufzustehen. Wenn du zehn Ideen hast, von denen neun scheitern und eine 0,05 Prozent mehr Performance bringt, dann wirst du gefeiert, nicht kritisiert. Diese Kultur, aus Fehlern systematisch zu lernen und Innovation als Dauerzustand zu leben, ist etwas, das viele Branchen übernehmen könnten. Innovation entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch Mut zur Iteration.
Wie sieht die Zukunft aus – für KI, Daten und die Formel 1?
Elif: Die Geschwindigkeit, mit der Technologie sich entwickelt, ist atemberaubend. Wir haben über Machine Learning gesprochen, dann kam Generative AI. Jetzt reden wir über Agentic AI, also KI-Agenten, die eigenständig Aufgaben übernehmen. Für Organisationen heisst das: Fokus auf das Wesentliche – Kunde, Mitarbeitende und Wirkung. KI ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Werkzeug, um bessere Entscheidungen zu treffen, Prozesse zu beschleunigen und echte Mehrwerte zu schaffen.
Fans konsumieren Inhalte heute ganz unterschiedlich. Manche bevorzugen lange Analysen, andere kurze Clips oder lokale Perspektiven. Unser Ziel ist es, personalisierte Inhalte bereitzustellen, die zu Sprache, Kultur und Nutzungsverhalten passen. KI hilft uns dabei, dies für Milliarden Fans weltweit möglich zu machen.
Ruth: Im Motorsport wie im Business gilt: Daten sind nur dann wertvoll, wenn sie Emotion, Verständnis und Handlung erzeugen. Formel 1 zeigt, wie Technologie Menschen verbindet – auf, neben und weit über die Rennstrecke hinaus.
Ruth, du bist eine der wenigen Frauen in leitenden Technik- und Strategie-Rollen der Formel 1. Was sind deine Erfahrungen, und was würdest du Nachwuchskräften raten?
Ruth: Formel 1 verändert sich, und das ist gut so. 40 Prozent unserer Fans sind heute Frauen, 40 Prozent unter 35. Sichtbarkeit und Diversität werden gezielt gefördert, auch durch Partner wie AWS. Für Nachwuchskräfte rate ich: Nutze jede Gelegenheit, auch in den komplexesten Daten- und Technologieumfeldern aktiv zu werden und deine Perspektive einzubringen. Gerade die Offenheit für unterschiedliche Lösungswege und für Vernetzung mit anderen Disziplinen ist zentral für Innovation und Karrierewege. Formel 1 steht heute mehr denn je für Vielfalt und die gezielte Förderung von Talenten aus sämtlichen Bereichen.
Ich liebe, was ich tue: die Geschwindigkeit, die Präzision, die Geschichten hinter den Zahlen. Und ich möchte, dass jede und jeder, egal welchen Hintergrunds, diese Leidenschaft teilen kann.
Dieses Interview basiert auf dem Podcast Meikes Raumzeit – Episode 60 «AI on the Fast Lane: Data, Decisions and CX in Formula 1 «
AWS
Seit 2006 ist Amazon Web Services, Inc. (AWS), ein Unternehmen von Amazon.com, Inc. (NASDAQ: AMZN), die umfassendste und am weitesten verbreitete Cloud der Welt. AWS hat seine Services kontinuierlich erweitert, um praktisch jede Arbeitslast zu unterstützen, und verfügt nun über mehr als 240 voll ausgestattete Services für Rechenleistung, Speicher, Datenbanken, Netzwerke, Analytik, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT), Mobilgeräte, Sicherheit, Hybrid, Medien sowie Anwendungsentwicklung, -bereitstellung und -verwaltung in 105 Availability Zones in 33 geografischen Regionen, mit angekündigten Plänen für 18 weitere Availability Zones und sechs weitere AWS-Regionen in Malaysia, Mexiko, Neuseeland, dem Königreich Saudi-Arabien, Thailand und die AWS European Sovereign Cloud. Millionen von Kunden - darunter die am schnellsten wachsenden Startups, die größten Unternehmen und führende Regierungsbehörden - vertrauen auf AWS, um ihre Infrastruktur zu betreiben, agiler zu werden und Kosten zu senken.


 
				 
				 
				 
				 
				 
				