Klassische Umfragen verlieren an Bedeutung: Sinkende Rücklaufquoten und verspätete Reaktionen machen viele Voice-of-Customer-Programme wirkungslos. Kunden haben weder Zeit noch Lust, nach jeder Interaktion Feedback zu geben – und entscheidende Signale bleiben ungehört. Stattdessen rücken KI-gestützte Analysen in den Fokus: Sie erfassen Stimmungen in Echtzeit, erkennen Zwischentöne und werten Gespräche auf verschiedenen Kanälen aus. So entsteht ein präziseres Bild der Kundenerfahrung – und Unternehmen erhalten Hinweise, wo wirklich Handlungsbedarf besteht.
Die Stimme von Kunden könnte zunehmend in Unternehmen ungehört bleiben – und das liegt nicht nur an den Kundencentern. Wer sich zu sehr auf seine Voice-of-Customer-Software verlässt, könnte bald ins Hintertreffen geraten. In einem Beitrag für CMS Wire warnt die Entwicklerin Sue Davis: Umfragen werden kaum noch von Kunden genutzt, Antworten kommen zu spät und die Messgrößen haben wenig mit der Realität zu tun.
Viele Firmen messen die Kundenzufriedenheit mit Umfragen. Diese werden dann analysiert – und wer die besten NPS (Net Promoter Scores) erzielt, wird gefeiert. Fraglich ist jedoch, ob die Datengrundlage für solche Bewertungen noch ausreichend ist. Dimitry Isupv warnte im Juni auf Chattermill, dass die herkömmlichen VoC-Anwendungen bald am Ende sein könnten. Er beobachtet bei seinen Kunden, dass die Antwortraten zurückgehen. «Dies beobachten wir bereits bei unseren Kunden: Die Rücklaufquoten bei NPS- und CSAT-Umfragen sind in den letzten sechs Jahren teilweise von 10% auf niedrige einstellige Werte gefallen», schreibt er.
Ohne eine ausreichende Zahl an Antworten sind Umfragen aber nicht mehr aussagekräftig. Dass Kunden immer seltener bereit sind, ihre Meinung zu äußern, hat mehrere Ursachen. Die wichtigste dürfte eine allgemeine Müdigkeit sein: Viele haben schlicht keine Lust oder Zeit mehr, nach jeder Interaktion Bewertungen abzugeben. Hinzu kommt, dass E-Mail als klassischer Umfragekanal zunehmend an Bedeutung verliert. Je jünger die Kunden, desto seltener nutzen sie noch ihre elektronischen Postfächer.
Nicht alle Touchpoints werden als Feedback erfasst
Davis sieht aber auch Konversationen auf Kanälen, die kaum oder gar nicht beobachtet werden, als Grund, warum klassische VoC-Modelle bald auslaufen könnten. Selbst wenn Kunden auf der Webseite landen und verschiedene Touchpoints erreichen, wird das zwar dem Marketing gemeldet, aber nicht zwangsläufig auch als Kundenfeedback verstanden. Ein weiteres Versäumnis sieht Davis in zu langen Pausen zwischen einer Kundenaktion und einer Reaktion darauf. «Ein Kunde macht im Januar eine frustrierende Erfahrung, erwähnt diese im März in der Markenumfrage, analysiert die Daten im April, präsentiert die Ergebnisse im Mai der Geschäftsleitung und setzt im Juli schließlich Änderungen um. Bis dahin ist der Kunde entweder abgesprungen oder hat eine Lösung gefunden», kritisiert sie.
Und schließlich stellt sie die Frage, was ein Wert von 7 im NPS überhaupt aussagt: Man vergesse dabei oft den Kontext, in dem Bewertungen abgegeben werden.
KI hört Kunden in Echtzeit zu
Abhilfe könnte Künstliche Intelligenz schaffen. Sie ist in der Lage, Kundenaktionen in Echtzeit zu verfolgen und auf verschiedene Kanäle zu verteilen: von der Bedienbarkeit der Webseite über die Verweildauer auf Produkten und Seiten bis hin zu einer abgebrochenen Bestellung. Daraus lassen sich Vorhersagen ableiten, an welchen Stellen nachgebessert werden muss. Und das immer bessere Verständnis von natürlicher Sprache bei Bots hilft, auch ironische Zwischentöne in Kundenbeschwerden zu erkennen. Ein «Ich denke mal, der Schuh ist bequem» wird dann nicht mehr als positive Antwort markiert, sondern gibt Anlass zur Nachfrage. Davis schlägt vor, dass Unternehmen sich nicht nur auf Umfrageanalysen verlassen, sondern kontinuierlich mit Kunden in Kontakt stehen – oder zumindest deren Interaktionen ständig verfolgen und analysieren.
Wie dringend Verbesserungen gesehen werden, zeigt eine Ankündigung von NielsenIQ. Die Verbraucherforscher haben gerade ihre GfKnewron-Plattform erweitert. Sie ist in der Lage, die Stimme der Kunden zu verstehen und Unternehmen Analysen davon darzulegen. «Durch die Integration der größten aktuellen Käuferumfrage für Tech & Durables mit den robusten Point-of-Sale-Tracking-Daten von NIQ liefert GfKnewron Consumer Erkenntnisse auf Basis von über einer Milliarde Verkaufstransaktionen weltweit. Diese KI-gestützte Erweiterung ermöglicht es Marken und Einzelhändlern, über die reine Messung hinauszugehen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, indem sie Verbrauchereinblicke zum Warum, Wer und Wie ihrer Einkäufe gewinnen», verspricht Nielsen.
Man sei nun in der Lage, Feedback von Kunden noch besser zu verstehen und daraus Vorhersagen zu entwickeln. Aufgrund von 160.000 Aussagen habe man beispielsweise Möglichkeiten gefunden, wie Produkte verbessert werden können.
Floyd March sieht ebenfalls einen Wandel durch KI bei VoC-Programmen. Die LLM-gesteuerten Bots sind in der Lage, Konversationen in großen Mengen zu analysieren, den Ton zu verstehen, die Dringlichkeit einzuschätzen und Verhalten vorherzusagen. «Das gibt viel bessere Einblicke als eine vierteljährliche Präsentation, in der gezeigt wird, welche Funktionen die Kunden nicht mögen», schreibt er auf CXToday.
Gepräche werden wohl weiterhin von Kunden bevorzugt
Finbarr Begley, Senior Research Analyst bei der Cavell Group, hat dies in der Praxis bereits festgestellt. Er fand heraus, dass agentenbasierte KI dabei helfen kann, «die Stimmung eines einzelnen Kunden mit umfassenderen Trends über alle Kundeninteraktionen hinweg zu korrelieren und so einen präziseren und skalierbareren Ansatz zum Verständnis der Kundenbedürfnisse zu bieten.» Die Echtzeit-Meinungen der Kunden könnten direkt in Verkaufsansätze einfließen, etwa in schnelle individuelle Quotierungen.
Dass der KI die Daten aus Gesprächen ausgehen, dürfte in nächster Zukunft nicht der Fall sein. Noch immer bevorzugen viele Kunden das Telefon als Kommunikationskanal. Simon Harrison, Founder & CEO von Actionary, sieht das genauso: «Früher mussten wir zum Telefonhörer greifen. Heute hat jeder Kopfhörer und ist in der Lage, sein Handy schon mit Sprache zu steuern. Die Stimme als Kanal wird das wichtigste Interface werden», sagt er voraus.
Was sich geändert hat, sind die Möglichkeiten, aus Gesprächen Daten zu erzeugen, die dann in Echtzeit analysiert werden können. Die «Stimme der Kunden» kann dann buchstäblich aus der Kommunikation heraus entwickelt werden. Umfragen könnten somit bald obsolet werden, da sie nur eine Momentaufnahme darstellen. Bis die Auswertung erfolgt ist und im Unternehmen bewertet wurde, vergeht viel Zeit. Zudem werden Kunden oft nur zu einem bestimmten Produkt oder Vorgang befragt. Über KI-gesteuerte Programme kann hingegen das gesamte Spektrum analysiert werden.

Thomas Wanhoff
Thomas Wanhoff, Jahrgang 1966, ist ein deutscher Journalist und Autor. Er arbeitete bei Zeitungen wie der “Frankfurter Neuen Presse”, war Produktentwickler bei der “Welt” und schreibt für die Nachrichtenplattform t-online. Außerdem betätigt er sich als freier Autor, mit Schwerpunkten auf CRM und Personalentwicklung. Wanhoff lebt seit 2007 in Südostasien.