Creator unter Druck: Wenn digitaler Ruhm krank macht

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Creator unter Druck: Wenn digitaler Ruhm krank macht

In der Creator Economy verdienen viele Menschen ihren Lebensunterhalt durch Content Creation, doch der Druck, ständig sichtbar zu bleiben, führt oft zu Burnout. Eine Studie zeigt, dass 82% der deutschsprachigen Content Creators bereits Burnout-Symptome erlebt haben. Der ständige Vergleich mit anderen und die Intransparenz der Algorithmen verstärken die Unsicherheiten. Künstliche Intelligenz bietet zwar Entlastung, birgt aber auch die Gefahr, die kreative Identität zu gefährden. Plattformen und Marken müssen nachhaltige Rahmenbedingungen schaffen, um die mentale Gesundheit der Creators zu schützen. Der Artikel beleuchtet die Herausforderungen und mögliche Strategien gegen Burnout.

Ob Influencer, Streamer oder TikToker: Immer mehr Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt mit Content Creation. Doch der digitale Ruhm hat seinen Preis. Zwischen Konkurrenzdruck, algorithmischer Willkür und öffentlicher Bewertung geraten viele Creator in einen Strudel aus Selbstzweifeln und Erschöpfung. Der folgende Artikel zeigt, wie tiefgreifend das Phänomen des Creator Burnouts heute wirkt, warum auch Künstliche Intelligenz keine einfache Lösung bietet – und was Plattformen, Marken und Gesellschaft jetzt tun müssen, um eine ganze Generation digitaler Kreativer nicht zu verlieren.

Wenn digitale Aufmerksamkeit zur psychischen Belastung wird

In der Ära sozialer Medien ist Sichtbarkeit zur Währung geworden. Likes, Kommentare, Shares und Reichweite entscheiden längst nicht mehr nur über digitale Popularität, sondern über echte berufliche und finanzielle Perspektiven. Für viele Menschen weltweit ist das Produzieren von Inhalten auf Plattformen wie Instagram, TikTok, YouTube oder Twitch zum Beruf geworden – und zum emotionalen Kraftakt. Was früher als kreative Spielwiese begann, ist heute ein hochkompetitives Ökosystem mit immer komplexeren Anforderungen. In dieser Welt entsteht ein Phänomen, das zunächst wenig beachtet wurde, inzwischen jedoch nicht mehr zu übersehen ist: der Creator Burnout.

Creator Burnout beschreibt den Zustand physischer, emotionaler und mentaler Erschöpfung, der sich aus dem ständigen Druck ergibt, Inhalte zu produzieren, sichtbar zu bleiben und algorithmisch belohnt zu werden. Es ist ein spezifisches Burnout-Syndrom, das auf die Bedingungen der digitalen Plattformökonomie zugeschnitten ist. Während klassische Burnout-Modelle meist auf Überforderung am Arbeitsplatz oder im Pflegekontext bezogen sind, greift dieser Begriff zu kurz, wenn es um die Besonderheiten des Influencer- und Creator-Berufs geht. Denn hier verschmelzen Arbeit und Privatleben auf eine Weise, die nicht nur neu, sondern zutiefst ungeschützt ist.

Erstmals in größerem Stil öffentlich wurde das Thema rund um 2018, als bekannte YouTuberinnen und Streamer offen über ihre Erschöpfung sprachen. Seitdem ist das Phänomen nicht verschwunden – im Gegenteil: Es hat sich parallel zur Professionalisierung der Creator Economy verschärft. Die aktuelle «Creator Burnout Studie» von Awin liefert ein deutliches Bild. 82 Prozent der befragten Content Creators aus dem deutschsprachigen Raum gaben an, bereits Burnout-Symptome erlebt zu haben. In den USA und Großbritannien liegt diese Zahl sogar bei 96 Prozent. Besonders häufig betroffen sind Nutzerinnen und Nutzer von Kurzvideo-Plattformen wie TikTok und Instagram Reels. Die Schnelllebigkeit dieser Formate zwingt Creators dazu, in immer kürzeren Abständen Inhalte zu veröffentlichen – ein Rhythmus, den viele als nicht mehr vereinbar mit ihrer psychischen Gesundheit empfinden.

Ein zentrales Problem ist der permanente Vergleich mit anderen

Die Plattformen begünstigen durch ihre öffentlich sichtbaren Kennzahlen wie Likes, Views und Kommentare eine soziale Vergleichsdynamik, die tief in das Selbstwertgefühl eingreift. Laut der Awin Studie vergleichen sich über die Hälfte der Befragten regelmäßig mit anderen Creators, in den USA und UK sogar 52 Prozent sehr häufig. In der täglichen Realität vieler Influencer führt das dazu, dass der Erfolg anderer nicht mehr inspiriert, sondern entmutigt. Eine schwächer performende Story, ein Reel mit weniger Views oder ein Rückgang der Followerzahl kann existenzielle Zweifel auslösen. Nicht selten berichten Betroffene, dass sie in solchen Momenten ihre gesamte Strategie infrage stellen, ihre künstlerische Relevanz bezweifeln oder sogar an ihrer persönlichen Eignung zweifeln.

Diese Unsicherheiten werden verstärkt durch eine weitere Dynamik: die Intransparenz algorithmischer Logiken. Plattformen wie TikTok oder Instagram verändern regelmäßig ihre Ausspielmechanismen. Was gestern noch funktionierte, wird heute ignoriert. Diese algorithmische Unbeständigkeit erzeugt ein Gefühl permanenter Unkontrollierbarkeit. Laut der Studie empfinden 60 Prozent der befragten Creator genau diese Unsicherheit als ihre größte Angst. Die Abhängigkeit von einer Blackbox, die nicht kommuniziert, warum ein Beitrag viral geht oder untergeht, führt zu einem Zustand chronischer Alarmbereitschaft.

Zugleich fehlt es an struktureller Unterstützung. Während sich Plattformen gerne mit Creator-Programmen und Events schmücken, berichten viele Nutzer, dass diese Angebote ungleich verteilt und schwer zugänglich sind. Nur ein kleiner Teil profitiert von exklusiven Events oder individuellen Ansprechpartnern. Für die große Mehrheit bleiben mentale Belastungen ein individuelles Problem. Auch externe Institutionen – etwa Verbände, Gewerkschaften oder staatliche Stellen – spielen in dieser jungen Berufsgruppe bislang kaum eine Rolle. Das Resultat ist eine Situation, in der viele Creators sich alleingelassen fühlen, obwohl ihre Arbeit längst die Reichweite klassischer Medien übersteigt.

Ein ambivalenter Faktor in dieser Gemengelage ist die künstliche Intelligenz

In Deutschland nutzen laut unserer Studie bereits 54 Prozent der befragten Creator KI-Tools zur Unterstützung bei der Content-Kreation. Die Anwendungen reichen von Texterstellung über Bildbearbeitung bis hin zur Caption-Generierung. Einige Befragte berichten von einer spürbaren Entlastung: Sie gewinnen Zeit, arbeiten effizienter, können schneller auf Trends reagieren. 22 Prozent sagen, dass ihre Burnout-Symptome durch KI-Nutzung zurückgegangen seien.

Gleichzeitig aber äußert mehr als die Hälfte Sorgen, dass KI ihre kreative Identität gefährdet. Die Angst, durch generischen Output ersetzbar zu werden, überlagert zunehmend die anfängliche Faszination für die neuen Tools. Viele sehen ihre Originalität bedroht – und damit den Kern dessen, was ihre Inhalte besonders macht.

Der Druck auf die mentale Gesundheit wird durch die Unkultur des Feedbacks auf Social Media verschärft. Negatives Publikumsvotum, toxische Kommentare oder schlicht ausbleibende Reaktionen können tiefe Spuren hinterlassen. 62 Prozent der Befragten geben an, dass negative Rückmeldungen zumindest eine gewisse Auswirkung auf ihr psychisches Wohlbefinden haben. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele Inhalte in Echtzeit veröffentlicht und kommentiert werden. Es bleibt kaum Raum zur Distanzierung oder Reflexion. Was eben noch persönliche Idee war, wird Sekunden später öffentlich bewertet – ein psychologisch extrem herausfordernder Prozess.

Wie aber lässt sich dieser Zustand verbessern? Welche Strategien gegen Burnout stehen zur Verfügung?

Auf individueller Ebene setzen viele Creators bereits Maßnahmen um. Sie legen feste Upload-Zeiten fest, planen bewusste Pausen oder bemühen sich um eine geringere finanzielle Abhängigkeit von der Content-Produktion. Inzwischen ist es sogar üblich, dass Influencer mehrere Wochen oder Monate offline gehen und diese Auszeiten offen kommunizieren. Solche Strategien zeigen: Der öffentliche Diskurs über mentale Gesundheit gewinnt an Raum – und mit ihm das Verständnis dafür, dass kreative Produktivität keine permanente Ressource ist.

Doch die Verantwortung darf nicht allein bei den Einzelnen liegen. Plattformen, Agenturen und Marken müssen sich fragen, wie sie nachhaltige Rahmenbedingungen schaffen können. Dazu gehören transparente Algorithmen ebenso wie eine klare Kommunikation zu Reichweitenmechanismen, verbindliche Standards zum Schutz vor Hate Speech und vor allem: psychologische Begleitung, Schulungen und Zugänge zu Netzwerken der mentalen Gesundheit. In einem so jungen Berufsfeld wie dem der Creator ist diese Fürsorge keine Kür, sondern eine Notwendigkeit.

Die Creator Economy ist kein vorübergehender Trend. Sie ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels in der Art, wie Öffentlichkeit, Arbeit und Selbstverwirklichung heute zusammenhängen. Umso wichtiger ist es, dass sie nicht zur Falle für jene wird, die sie am Leben halten. Denn wer ständig on sein muss, läuft Gefahr, irgendwann ganz abzuschalten.

Autor: Alexander Kube, Country Client Services Director bei Awin.

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